2024: Migrationen

Der Begriff der Migration wird heute vor allem als politisches Werkzeug verwendet, um Unterschiede zwischen Innen und Außen, hier und dort, „uns“ und „den anderen“ zu zementieren. Doch Migration ist ein Kontinuum der Menschheits- und somit auch der Architekturgeschichte. Im 20. Jahrhundert haben die NS-Herrschaft und die damit verbundenen Flucht- und Migrationsbiografien von Architekt:innen wie Josef Frank (und vielen ihrer Bauherr*innen) sowie die Ablehnung und Ausgrenzung, die viele Rückkehrer*innen auch nach dem 2. Weltkrieg erfuhren, in der Wiener Kultur eine Fehlstelle an Urbanität hinterlassen, die bis heute in einer gewissen Provinzialität des Denkens und Handelns spürbar ist.

Doch nicht nur Personen, sondern auch Ideen, Positionen, technisches Know-How und Formensprachen sind in stetig migrierender Bewegung. Exotismen wie der „venezianische“ Dogenhof, Elemente von Burgen und Klöstern in den Wohnhöfen des Roten Wien, die Anglizismen von Adolf Loos, die aus den Niederlanden mitgebrachten Entwurfsdarstellungen des plakativ-cartoonhaften „Superdutch“ der 1990er in der Entwurfshaltung junger Wiener Büros Anfang der 2000er-Jahre.

Die Geschichte der Moderne ist eine der offensichtlichen und versteckten Migration von Personen und Ideen. Le Corbusiers Entdeckung der „weißen“ Moderne in Nordafrika hat über mehrere Ecken und Winkelzüge und Kulturtransfers zu globaler Präsenz gefunden, und die internationale Moderne war keineswegs homogen, sondern erfuhr auf ihrer Wanderbewegung durch Längen- und Breitengrade zahlreiche produktive Störungen und Mischungen.

In gegenseitiger Migration wiederum oszillieren Stadt und Land, und das sowohl in Kulturen, Architekturen und Materialen: Hier der Einzug des ruralen Holzes in die Stadt in den letzten Jahren, dort städtische Gegenstücke zu den erfundenen Traditionen angeblicher regionaler Verwurzelung. Baustoffe, Bausysteme und Technologien breiten sich regional und global aus oder werden simultan an verschiedenen Orten erfunden.

Und letztlich verlangen auch die großen Migrationsbewegungen der Gegenwart und Zukunft nach einer planerischen und kulturellen Antwort. Sie verlangen nach neuen Ankunfts-Architekturen, Aufenthalts-Räumen und Soziotopen, nach einer Arrival City. Denn noch blenden wir die bevorstehenden Szenarien für das Zivilisationsdesaster der globalen Erhitzung weitgehend aus, das Millionen in die Flucht aus unbewohnbar gewordenen Regionen treiben wird.

Kontinuitäten, Katastrophen, Kulturen: Das Jahresthema 2024 richtet den Fokus auf Räume in Bewegung, auf die Spannungsfelder zwischen Fremdheit und Vertrautheit, und auf produktive Mischungen und Kollisionen anstatt auf den starren Purismus hegemonialer Leitbilder.