Traude Windbrechtinger

Vita

Die in Graz geborene und aufgewachsene Traude Berndl maturierte 1941 mit Auszeichnung und studierte 1942-45 Malerei und Grafik an der Akademie der bildenden Künste in München in der Zeichenklasse des (im NS-Regime angesehenen) Malers Hermann Kaspar. Die Studienwahl war ihr leicht gefallen, denn schon in der Kindheit hatte sich ihr Zeichentalent und ihr Interesse an Figuren, Farben und Formen deutlich gezeigt. 1942 lernte Traude in München den Architekturstudenten Adolf („Ali“) Ketterer kennen, sie heiraten und bekommen einen Sohn. Adolf Ketterer war im Zweiten Weltkrieg Flugzeugführer und Leutnant der Luftwaffe, er fiel im Mai 1944 in Frankreich. Dieser Schicksalsschlag und die Auflösung der Akademie in München zwangen Traude Ketterer mit ihrem dreijährigen Sohn nach Graz zurückzukehren, wo sie im November 1945 ihr Architekturstudium an der TH Graz aufnahm. An der Hochschule konnte Traude rasch Fuß fassen. „Dort konnte ich mich entfalten, dort haben sie mich sehr gemocht, ich war eine Ausnahmeerscheinung, als Frau in einem technischen Fach.“[1] Dieser Status einer „Ausnahmeerscheinung“ sollte ihr lange erhalten bleiben, denn auch in späteren beruflichen Kontexten war sie häufig die einzige Architektin in der Runde. Die junge alleinerziehende Witwe war zunächst wissenschaftliche Hilfskraft an der Lehrkanzel für Hochbau und Entwerfen bei Architekt Eugen Rudolf Heger und nach Abschluss des Studiums 1950 Assistentin bei Professor Friedrich Zotter, der als Lehrer und Reformer ein bedeutender Mentor und Wegbereiter des „Neuen Bauens“ war. An der Hochschule lernte Traude Ketterer auch ihren künftigen Lebens- und Arbeitspartner Wolfgang Windbrechtinger kennen, gemeinsam gewannen sie noch als Studierende einen Wettbewerb der Firma „Puntigamer“ für eine Volks- und Hauptschule. 1954 wurde das Paar vom Architekturbüro Hentrich-Petschnigg in Düsseldorf angeworben und 1956 von Roland Rainer nach Wien zurückberufen. Im gleichen Jahr heirateten die beiden, bezogen ein Dachatelier in der Badhausgasse 7 im 7. Bezirk und eröffnen ein gemeinsames Architekturbüro. Über die Aufgabenteilung im Team äußerte sich Traude so: „Der Wolfgang hat ein großes Vorstellungsvermögen des Gesamten, und ich wusste immer, wie es innen aussehen sollte.“[2]

Ein 1958 erzielter Wettbewerbserfolg für die Per-Albin-Hansson-Siedlung Nord mündete in keine Realisierung, aber erste Werke wie das Volksheim in Kapfenberg erregten die Aufmerksamkeit der internationalen Fachwelt; als einer von nur vier österreichischen Bauten wurde es in den amerikanischen Architekturführer von Kidder Smith aufgenommen (George Everard Kidder Smith, Hermann Bauer: Moderne Architektur in Europa. Piper, 1964).

Das vielleicht bekannteste Werk von Traude und Wolfgang Windbrechtinger, das Ausflugsrestaurant Bellevue, entstand Anfang der 1960er Jahre auf der Wiener Bellevuehöhe in Döbling. Als ganzjährig geöffnetes Lokal mit Weitblick über Wien bot es durch seine großzügig dimensionierten Innen- und Außenräume Platz für rund 2000 Gäste. Mehrere höhenversetzte Aussichtsterrassen unterschiedlicher Größe umringten den flachen Restauranttrakt und „Grillhof“ und knüpften mit Pergolen und Holzbänken an die Tradition von Wiener Heurigengärten an. Obwohl die differenzierte Konzeption der Räumlichkeiten den Eindruck eines Massenbetriebs nicht aufkommen ließ, blieb der wirtschaftliche Erfolg aus, und der Bau, der heute als Ikone der Nachkriegsmoderne gelten müsste, wurde 1982 abgerissen. Auch die Sandsteinwand der Künstlerin Maria Biljan Bilger, die die Vorderfront des Gebäudes akzentuierte, konnte nicht gerettet werden.

Auch beim im Rahmen des Stadtplanungskonzepts von Roland Rainer entstandenen „Einkaufszentrum Hietzing“ (1962-64), das Traude und Wolfgang Windbrechtinger durch die Höhenstaffelung der vier Bauteile subtil mit dem ehemaligen Dorfkern verflochten, arbeiteten die Architekten mit der Künstlerin zusammen, die für die Anlage einen (im Jahr 2000 entfernten) Brunnen und eine Steinmosaikwand an der straßenseitigen Feuermauer des Hotel- und Bürotrakts entwarf.

Im Gesamtwerk der Architekten nehmen – unter der Prämisse des „sozialen Bauens“ – der Schulbau und der Wohnbau eine besondere Stellung ein. Die 1959 fertiggestellten Werkswohnungen für die Böhlerwerke in der Gemeinde Sonntagberg im Bezirk Amstetten sind in ihrer zurückhaltenden Kombination aus Reihenhäusern und Geschoßwohnungen an der skandinavischen Moderne orientiert. Eine Serie von in den 1960er und 1970er Jahren entstandenen Kindergärten in Niederösterreich (etwa in Allersdorf bei Amstetten, Obergrafendorf, Eggersdorf, Persenbeug) verdeutlicht die besondere Wertschätzung, die Traude und Wolfgang Windbrechtinger dem pädagogisch innovativen Typus des Hallenkindergartens entgegenbrachten. „Ein Kindergarten ist – wir haben das wörtlich genommen – ein Garten, in dem Kinder wie Blumen aufblühen sollen“, meinten sie.[3] Auch die dreigeschoßige Hauptschule in Mauer-Öhling (1976) ist als Hallenschule ausgeführt, deren zentrale Mehrzweckhalle die Funktion eines „inneren Dorfplatzes“ übernahm.

Das Werk von Traude und Wolfgang Windbrechtinger umfasst neben Bildungs- und Wohnbauten auch städtebauliche Projekte, wie etwa die Donaukanalstudie (1971-74 gemeinsam mit Viktor Hufnagl) und die Umgestaltung der Kärntner Straße in eine Fußgängerzone (1972–1978 mit Wilhelm Holzbauer). Die sanfte Sanierung der Häuser Schönlaterngasse 8 und Sonnenfelsgasse 17 zählte zu den ersten Projekten der Wiener Stadterneuerung, „die mit Erfolg das Wohnen in der Innenstadt wieder attraktiv machten und zur Trendwende in der Belebung des 1. Bezirks wesentlich beitrugen“.[4]

Die sozial geprägte Architektur von Traude und Wolfgang Windbrechtinger kommt ohne große Gesten aus, sie ist einer zurückhaltenden Ethik verpflichtet, die gerade in den stilleren Seiten des einfachen Lebens Qualitäten erblickt. Die schöpferische Kraft der anonymen Architektur wussten sie besonders zu schätzen: „In ihr begegnet uns eine Welt der Wahrheit und Humanität. Sie ist Ausdruck einer Kultur und ihrer schöpferischen Kraft, die stark genug ist, ihre gesamte Umwelt zu gestalten.“[5]

[1] Hannes Doblhofer (Hg.), Windbrechtinger, Löcker Verlag, Wien 2003, S. 23.
[2] Ebd.
[3] Vgl. Barbara Kapsammer, Die Windbrechtingers. Leben, Gesinnung, Werk, Wien 2020, S. 111.
[4] Friedrich Achleitner, Architektur als ethischer Imperativ, in: ders., Wie entwirft man einen Architekten?, Zürich 2015, S. 267.
[5] Traude Windbrechtinger, Anonyme Architektur, in: Hannes Doblhofer (Hg.), Windbrechtinger, Löcker Verlag, Wien 2003, S. 49.