Gunther Wawrik

Beruflicher Werdegang, Lehrtätigkeit

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Vita

Gunther Wawrik ist in Salzburg in einem in den 1930er-Jahren errichteten Haus des Architekten Fritz Medicus am Fuße des Gaisbergs aufgewachsen. Das kleine Satteldachhaus mit Eckfenster und unverputztem Betonsockel habe ihn schon als Kind beeindruckt, weil es trotz seiner Einfachheit so erfinderisch war. „Auch die Situierung mit Blick in die Weite begeistert Wawrik, „die Lage gab dem Haus in meinen Augen etwas Fürstliches. Ich habe nie mehr so schön gewohnt wie damals.“ Fritz Medicus, der damals eine Bürogemeinschaft mit Adalbert Klaar führte, habe bei Wawrik bei späteren Atelierbesuchen auch den Wunsch genährt, selbst Architekt zu werden.

Nach der Matura arbeitet Wawrik als Zimmererlehrling und Maurerpraktikant in Salzburg, wo er 1949 – natürlich auf einem Baugerüst – Friedrich Kurrent kennenlernt. Das Architekturstudium beginnen beide im Herbst an der TH Wien, doch als Realgymnasiast bleibt Wawrik der Wechsel zu Holzmeister an die Akademie der bildenden Künste verwehrt. In der Studienzeit, die abgesehen von einem inspirierenden Mathematikunterricht bei Leopold Peczar „trostlos“ verläuft, verbringt er viele Stunden in der Bibliothek der Akademie, um sich in Zeitschriften und Büchern an die Architektur der Moderne heranzutasten. Die Vorlesungen von Erich Boltenstern zur zeitgenössischen Architektur besucht Wawrik gern, doch zentrale Figuren der Moderne wie Le Corbusier kamen bei ihm nicht vor. 1950 ersteht Wawrik in Mailand Alberto Sartoris 1948 erschienene „Encyclopédie de l'architecture nouvelle“, von nun an seine persönliche „Bibel“ der modernen Architektur. Bei älteren Professoren an der TH wie Friedrich Lehmann, der Gebäudelehre und Entwerfen III unterrichtet, fällt Wawrik mit farbstarken, an Gerrit Rietveld orientierten Fassaden in Ungnade. „Das ist vielleicht ein nettes Schottenhemd“, soll Lehmann gesagt haben, „aber Sie werden nie ein Architekt werden“. Die wenig stimulierenden Studienjahre an der TH versüßt sich Wawrik mit Theater- und Konzertbesuchen, die für eine lebenslange Auseinandersetzung mit zeitgenössischer Musik den Grundstein legen und bezeugen, wie unaufgeschlossen das kulturelle Milieu in Wien in den ersten Nachkriegsjahren war. So wird er 1951 im großen Konzerthaussaal anlässlich der österreichischen Erstaufführung von Igor Strawinskys „Sacre du printemps“ unter der Leitung von Ernest Ansermet Zeuge der Empörung, mit der das konservative Stammpublikum den Saal verlässt.

1954 und 1956, noch vor Abschluss des Studiums, nimmt Wawrik in Salzburg an den Sommerakademien von Hans Hoffmann und Konrad Wachsmann teil, wobei ihm vor allem Wachsmanns Fähigkeit beeindruckt, aus rigiden konstruktiven Ordnungen eine überraschende Freiheit abzuleiten.

Nach dem Diplom arbeitet Wawrik bei den Architekten Josef Becvar in Salzburg, Gerhard Schwab in München und Ferdinand Kitt in Wien. Im Atelier von Ferdinand Kitt, den Wawrik als humorvollen und trinkfesten Menschen in Erinnerung hat, verdienen sich u.a. auch seine Freunde Friedrich Achleitner, Max Peintner, Hans Puchhammer und Heinz Gerretsegger als Zeichner ihr Zubrot. 1961 eröffnen Gunther Wawrik und Hans Puchhammer ein gemeinsames Architekturbüro in der Rechten Wienzeile und arbeiten an Projekten unterschiedlichsten Maßstabs, von einem neuartigen Möbelbau-System aus gepresstem Sperrholz über das Terrassenhaus „Goldtruhe“ in Brunn am Gebirge, das Bürohaus Grothusen in Wien und das Burgenländische Landesmuseum in Eisenstadt. Bei einem Wettbewerb für ein Bundesamtsgebäude in der Singerstraße scheiden sich 1977 die Geister, sodass Wawrik das Projekt allein bis zur Baureife weiterplant (bis es aus finanziellen Gründen scheitert). Ab 1979 führt Wawrik ein eigenes Architekturbüro, von 1985 bis 1996 ist er Professor für Entwerfen, Baukonstruktion und Städtebau an der Fachhochschule München – eine erfüllende Aufgabe, aus der lebenslange Freundschaften mit ehemaligen Schülerinnen und Schülern erwachsen. In Zusammenarbeit mit Lucia Beringer entsteht in den 1990er Jahren in Berlin an der Spree sein größtes Bauprojekt, ein Büro- und Geschäftsgebäude, dessen kammartige Flügel (bzw. Bügel) den Blick auf den Fluss freigeben. Trotz dieser Erfahrung mit Großprojekten bleibt das in zwei Wochen erstellte Vordach aus Gerüstrohen und Segeltuch für die Ausstellung „Maria Theresia und ihre Zeit“ im Schloss Schönbrunn (1980) lange Zeit die Lieblingsarbeit des Architekten. Mit der Aussegnungshalle in Gräfelfing (1999) entwickelt Wawrik – mit Fingerspitzengefühl und ohne Pathos – ein „Instrument“ für einen würdigen Umgang mit dem Tod. Wawrik hat seine ergebnisoffene Entwurfsmethode selbst stets beiläufig als „Basteln“ bezeichnet, das „eine respektvolle, gleichwohl fragende Haltung dem Vorhandenen gegenüber“ bedinge.
In seinen letzten Lebensjahren widmet sich Wawrik mit spielerischer Ernsthaftigkeit der Fiktion einer „Bergstadt“, die er als kritischen Gegenentwurf zum städtebaulichen Wildwuchs der Stadt im Tal versteht. 2020 erscheint das inspirierende Gedankenexperiment in Buchform und wird Ende 2022 in der Initiative Architektur Salzburg ausgestellt. In der (per Zoom eingespielten) Eröffnungsrede bekundet Wawrik seine Freude darüber, gerade mit diesem unbefangenen „Ausblick“ in seiner Geburtsstadt präsent zu sein.

ÖGFA-Bezug

Mitte der 1970er-Jahre gelingt es Gunther Wawrik in einer schwierigen Phase der ÖGFA, zwischen der Gründergeneration und den jungen „Revolutionären“ der Studentenbewegung zu vermitteln. Unter seinem Vorsitz 1978 verjüngt sich mit Otto Kapfinger, Adolf Krischanitz und Dietmar Steiner der Vorstand (zugleich „reaktiviert“ er Friedrich Achleitner) und hebt die Zeitschrift UMBAU aus der Taufe. In diesen Jahren werden in Exkursionen und Vorträgen die Verbindungen nach Norditalien, ins Tessin und in die USA vertieft. Im Februar 1976 fand in der Secession eine umfassende Ausstellung zur Österreichischen Architektur 1945-1975 statt. Dieser Versuch von Anton Schweighofer, Heinz Tesar und Gunther Wawrik, in einer Überblicksschau samt Katalog den Bogen zwischen drei, ja sogar vier Generationen der Nachkriegsarchitektur zu spannen, führte den drei verantwortlichen ÖGFA-Mitgliedern die Höhen und Tiefen eines derartigen Kraftakts vor Augen. Obwohl Wawrik in seinen Münchner Jahren ab Mitte der 1980er-Jahre keine nominelle Vorstandsrolle einnimmt, bleibt er der ÖGFA als kritisches und aufmunterndes Mitglied eine wertvolle Stütze in allen städtebaulichen und architektonischen Fragestellungen. Sein unermüdliches Engagement (z.B. in der Causa Heumarkt) wurde 2017 symbolisch mit der ÖGFA-Ehrenmitgliedschaft gewürdigt, seine oft verblüffenden Debatten-Beiträge (z.B. zur Zukunft des Wiener Westbahnareals und zum Thema Hitler-Haus in Braunau) ermunterten seine Mitstreiterinnen zu Perspektivwechsel und einem freieren Abwägen der vorgebrachten Argumente. Durch sein Beispiel konnte die ÖGFA wiederholt die Erfahrung machen, dass Kampfgeist und Humor keine widerstreitenden Kräfte sind.
(Gabriele Kaiser, 23.10.2023)

Werke (Auswahl)