UmBau 1 | 1979
deutsch, Eigenverlag, 84 S. VERGRIFFENWer heute in österreichischen Zeitungen und Zeitschriften nach Aussagen zur Architektur in Form von kritischen oder theoretischen Beiträgen sucht, wird enttäuscht. Ein kurzer Rückblick auf die letzten 15 Jahre lehrt, dass sich dies in der ersten Hälfte dieses Zeitabschnittes zumindest quantitativ ganz anders verhielt.
Friedrich Achleitner, von Hermann Czech liebevoll zum Nestor der österreichischen Architekturkritik erhoben, schrieb von 1963 bis 1971 wöchentlich in der Presse, bis ihm eines Tages anlässlich eines kritischen Artikels über das olympische Dorf in Innsbruck die wahre Medienlandschaft bewusst gemacht wurde. Achleitners unzählige Artikel bewirkten offenbar – wenigstens unter Presse-Lesern – ein Verständnis, dass Architekturkritik annähernd so wichtig und lesenswert wie Opernkritik sein kann. Bis ungefähr 1973 schrieb Roland Rainer ständig, später fallweise in der Presse über Architektur. Vorübergehend dann auch noch Ottokar Uhl. Seither ist Architekturkritik in der Presse ein eher ungeliebtes Kind, sie tritt nur mehr spärlich auf, und man behilft sich, indem man fallweise einen ehemaligen Sängerknaben als Architekturkritiker verwendet.
Einige Jahre hindurch schrieb Hermann Czech in der Wochenzeitschrift Die Furche und anderen Zeitschriften, was 1978 unter dem Titel Zur Abwechslung gesammelt und ausgewählt erschien und trotz einiger selbstkritischer Abstriche immerhin den Beweis erbrachte, dass auch auf diesem Gebiet Qualität über Jahre bestehen kann – die meisten dieser Beiträge liegen mehr als 10 Jahre zurück.
Aber auch in anderen Gazetten ist eine bemerkenswerte Entwicklung festzustellen. So war Günther Feuersteins Gastspiel im Kurier als Architekturkritiker nur von kurzer Dauer. Heute versucht man in dieser Zeitung den Teufel – der im Detail steckt – auszutreiben und spricht in diesem Zusammenhang von Verschönerung. Jeden Sonntag führt der Kurier einen zähen Kampf gegen die so genannten Glotzfenster, worunter sprossenlose Fenster zu verstehen sind, denen in den letzten Jahren vielfach die Sprossenfenster weichen mussten. Solchermaßen mit einer einfachen Diagnosemethode ausgestattet, erspart man sich viel Denkarbeit und verbreitet doch das Gefühl, man hätte für Architektur sonntags etwas getan. Nachdem es sich herumgesprochen hat, das viel zitierte Wort von der Architektur, mit der man Menschen erschlagen kann, nicht ganz so wörtlich zu nehmen ist, hat sich das einst für so unerlässlich gehaltene Intimverhältnis der Öffentlichkeit zur Architektur mittlerweile nach unten eingependelt und Architektur rangiert in der Tagespresse dementsprechend weit hinten. Angesichts dieser gehirnlähmenden Atmosphäre ist es nicht verwunderlich, dass man ungestraft dem gelangweilten Straßenbahnfahrer in Wien aktuell einen journalistischen Salto mortale über die Qualitäten der UNO-City oder des Wohnparks Alt-Erlaa als Zeitvertreib anbieten darf.
Die so genannten Fachzeitschriften sind heute weitgehend unkritisch und beschränken sich auf mehr oder weniger gutes Beschreiben und Bebildern. Sie sind in diesem Zusammenhang nicht interessant. Die Einstellung des BAU im Jahr 1970 bzw. 1971 hat diesbezüglich sicher eine Lücke hinterlassen. Günther Feuerstein sucht unbeirrbar seit 1970 mit Transparent „den schmalen Weg zwischen oberflächlicher Bildinformation und Architekturphrasen“ und hat diesen immer wieder gefunden. Allzukritischen empfahl er damals: „Transparent kann leicht zerlegt werden, Uninteressantes werfen Sie weg!“
UMBAU 1 enthält neben der aktuellen Chronik architekturtheoretische Beiträge, die auf Veranstaltungen der Österreichischen Gesellschaft für Architektur in den letzten zwei Jahren zurückgehen. Als diese Vereinigung 1965 in Wien von einigen Optimisten verschiedener Berufe gegründet wurde, stand unter Anderem auch die Herausgabe periodischer Veröffentlichungen auf ihrem Programm. Von Ansätzen dazu abgesehen, ist es bis heute bei diesem Wunsch geblieben. Die Geschichte der „Gesellschaft“ weist gewisse Parallelen auf zu der Entwicklung von Kritik und Theorie der Architektur in diesem Land: Die optimistisch-euphorisch-zukunftsgläubige Aktivität in den 60er Jahren wich im Lauf der Zeit einer gewissen Ermüdung und Resignation; auch dem Gefühl der Belastung durch Verpflichtung. Karl Kraus im Nacken: „Wenn man mir die Frage vorlegte, was denn überhaupt ein Verein sei, so würde ich antworten: ein Verein sei ein Verein gegen die Kultur.“
Fackel Nr.275-276 22/3/1909
Ein innerer UMBAU Prozeß, personeller und inhaltlicher Art hat neue und alte Energien geweckt, hat die Sache auf einmal wieder schmackhaft gemacht. Vielleicht ist es dass: An der Sache Spaß haben, ohne den messianischen Anspruch und Ernst, gleichwohl nicht unernst und verantwortungslos, auch oder vielleicht gerade der Geschichte und ihrer Ablagerungen gegenüber. Aber auch: geistige Notwehr gegenüber der ständigen Bedrohung und Einengung, gegenüber der brachialen Gewalt der Unsensiblen und er Ewigmorgigen. Reaktion auf geistigen Luftmangel. Wehrlose Häuser und Brücken zu verteidigen nicht als „kulturelles Erbe“, sondern als Freunde und Gesprächspartner, die wir schätzen und lieben. Walter Benjamin: „Vergangenes historisch artikulieren heißt nicht, „es erkennen, wie es eigentlich gewesen ist.“ Es heißt, sich einer Erinnerung zu bemächtigen, wie sie im Augenblick einer Gefahr aufblitzt.“
Vielleicht ist es also diese gar nicht so neue Einstellung, die die Krise der „Gesellschaft“ in den letzten Jahren, die Auflösungstendenzen und die Resignation überwinden geholfen hat. UMBAU sollte ein weiterer Schritt in dieser Richtung sein. UMBAU sollte auch Boden für kritische und selbstkritische Reflexion von Moden und Tendenzen sein. UMBAU sollte aber auch Spaß machen.
UmBau 1
Österreichische Gesellschaft für Architektur (Hrsg.)
Wien 1979
84 Seiten mit SW-Abbildungen.