Karrée St. Marx – Wohnhausanlage Viehmarktgasse
ArchitekturtageKarrée St. Marx – Wohnhausanlage Viehmarktgasse
Architektur: Geiswinkler & Geiswinkler Architekten; MitarbeiterInnen: Wolfgang Csenar, Peter Grausenburger, Julia Holzner, Rüdiger Krenn, Christian Münster, Roland Radda, Markus Thiel
Landschaftsarchitektur: 3:0 Landschaftsarchitektur: Oliver Gachowetz, Robert Luger, Daniel Zimmermann; Mitarbeit: Elisabeth Esterer-Vogel.
BauherrIn: Sozialbau AG
Das Projekt wurde vom Masterplan bis zum Hochbaudetail von Geiswinkler & Geiswinkler bearbeitet. Auf dem Gebiet des ehemaligen Schlachthausviertels, einer städtischen Wildnis, entsteht ein neues Stadtviertel. Schwebend über einer durchgängigen Parklandschaft finden sich Villa und L-förmiger, straßenbegleitender Riegel. Addition einzelner Zellen, die dem Einfamilienhaus möglichst nahe kommen, erzeugen die beiden Gebäude mit 101 bzw. 59 Wohneinheiten. Die zusätzlich zu den Loggien vorhandenen, über zwei Geschosse reichenden Vertikalgärten verwandeln die Fassade von einer zwei- in eine dreidimensionale Struktur. Die gemeinschaftlichen Freiflächen befinden sich auf den Flachdächern der jeweiligen Wohngebäude. Eine modulare Grundrissstruktur garantiert Flexibilität und variable Gestaltungsmöglichkeiten.
Geiswinkler & Geiswinkler - Architekten
Paradoxer Beginn eines Interviews: Auf dem Tisch liegt Benevolos in jeder Hinsicht gewichtiger Wälzer "Die Geschichte der Stadt", und dazu schwärmen die Architekten der modernsten Bar von Wien über die Varianten der hippodamischen Planung von Priene, Syrakus oder Delos: Markus und Kinayeh Geiswinkler haben alle wichtigen Stätten der Antike zwischen Kleinasien und Spanien besucht, durchwandert und analysiert. Wenn sie über die Modernität der Geometrie, die Komplexität der Raummodule und den Komfort der alten Mittelmeerstädte fachsimpeln, wird aber verblüffend unakademisch der Bogen von Einst ins Jetzt gespannt und wird jene anthropologische und soziale Sensibilität deutlich, die ihren avancierten Bauten das besondere Fluidum verleihen. Stadt- und Bauplanung umfasst die Regelung der Dynamik zwischen Privatsphäre, Gemeinschaft und Anonymität mittels Geometrie und Technik, wodurch das Naturgelände zum dichten Relief des Siedlungsraums verformt wird. Ob beim Kindergarten oder Wohnbau an der Peripherie, ob bei einer Bar im Zentrum: Die Geiswinklers reagieren stets genau auf die Situation und die gedachte Nutzung - nicht als blinde Programmerfüllung, sondern als Transformation der Lektüre von Ort und Aufgabe in die konkrete, offene Möglichkeitsform. So werden in ihren Bauten der zeitgenössische Trend zur Abstraktion und die Zeitlosigkeit humaner Konstanten ineinander verflochten. In Materialisierung und Detail frönen sie unverblümt dem Drang zur Reduktion und zum Hightech-Minimalismus, setzen dies aber nicht absolut. Die Glätte, die Stummheit und die Hermetik des Reduktiven erwacht bei ihnen auf einer feinen Ebene der Gestaltung wieder zum Leben. Glas und Metall werden in all ihrer kalten Spurlosigkeit wieder zu beredten Agenden der Qualitäten direkter oder indirekter Licht- und Blickführung, der optischen Reflexion oder Diffusion, der Modulierung von Akustik und taktiler Atmosphäre - meisterhaft inszeniert bei der urbanen Bühne des Guess-Club, der eine alte, verschlossene Ecke der Stadt zur offenen Szene dramatisiert und zugleich die äußerliche Hermetik und die Unverbindlichkeit der Internet- und Barkommunikation in einen vielfältig geschichteten Rahmen stellt. Anders als die jetzt gängigen, straff gekanteten Prismen entfalten ihre Wohnprojekte die lebhaft differenzierte Wirkung zwischen Gebäude und Umraum, arbeiten sie an den Querschnitten ihrer Geschoßbauten so intensiv wie die alten Meister an den Profilen von Kordon- und Traufgesimsen: Gestaltung der Übergänge von Raum-, Licht-, Sicht- und Schattenrelationen war und ist da wie dort das Thema.
(Otto Kapfinger im Ausstellungskatalog von "emerging architecture I" über Geiswinkler & Geiswinkler - Architekten)