UmBau 23 | 2007: Das Diffuse im Fokus
Focus on Blur
Haare Schlamm oder Schmutz, zum Beispiel
Hair and mud and dirt for example
Herausgegeben von der Österreichischen Gesellschaft für Architektur und dem Institut für Architekturwissenschaften, Abteilung für Architekturtheorie, TU Wien Mit Beiträgen von Anita Aigner, Ingrid Böck, Wulf Walter Böttger, Andreas L. Findeisen, Markus Jatsch, Kari Jormakka, Christian Junge, Wolfgang Koelbl, Christian Kühn, Philip Loskant, Thomas Mical, Manfred Russo, Arne Winkelmann, Tatiana Winkelmann
"Haare, Schlamm oder Schmutz, zum Beispiel", mit diesem Zitat aus Platons "Parmenides" eröffnet der aktuelle Umbau die Diskussion über ein neues Kapitel in der Architektur: die Unschärfe . Das »weise, korrekte und großartige Spiel von unter dem Licht versammelten Körpern« – Le Corbusiers suggestive Definition von Architektur – ist heute nur noch historische Reminiszenz. Gemeinsames Merkmal vieler zeitgenössischer Architekturen ist die Auflösung der Kontur, also die Unschärfe. Diller + Scofidios »Blur Building« für die Schweizer EXPO 2002 in Yverdon-les-Bains wies als künstliche Wolke keinerlei feste Geometrie mehr auf. R&Sie entwarfen für Bangkok ein Museum, das sich in einer Hülle aus Staub verbirgt. Jean Nouvels Projekt für ein Guggenheimmuseum in Tokio gleicht einem Hügel aus Blättern. Kazuyo Sejima und Ryue Nishizawa suchen in ihren jüngsten Projekten nach einer körper- und schattenlosen Architektur mit nur scheinbar einfachen Geometrien. diffus.
Als wir den Call for Papers für die vorliegende Ausgabe des UmBau formulierten, gab es unterschiedliche Auffassungen über die Frage, worauf das Phänomen »Unschärfe« in der Architektur zurückzuführen sei. Die heftigsten Diskussionen entstanden um die These, es handle sich um eine Flucht in den Ästhetizismus, also um die eskapistische Abwendung von einer Welt, in der gerade heute immer mehr klare Fronten sichtbar und wirksam würden. Welchen anderen Sinn hätte die Anrufung des Diffusen sonst in einem geistigen Umfeld, das mit der Einteilung der Welt in die Achsen »Gut« und »Böse« zu entschlossenem Handeln gefunden hat? Wo politische Allianzen nach dem Motto »Wer nicht für uns ist, ist gegen uns« geschmiedet werden, ist wohl kein Platz für das Diffuse. Inzwischen hat sich die politische Großwetterlage etwas geändert. Von einer neuen Ordnung der Welt ist trotz gegenteiliger Rhetorik nichts zu spüren. Und fast scheint es, als hätte die Politik einen kurzen eskapistischen Ausflug in eine Welt der klaren Fronten unternommen, während die Architektur der Unschärfe den Komplexitäten und inneren Widersprüchen der Welt eher gerecht wird, wenn auch primär mit ästhetischen Mitteln.
Es ist also durchaus passend, wenn wir ein Interview mit Robert Venturi und Denise Scott Brown an den Anfang der vorliegenden Ausgabe stellen. Lässt man Mehrdeutigkeit als eine Form des Diffusen gelten, hat sich die Architektur schon seit bald 50 Jahren mit diesem Phänomen beschäftigt. Dass Unschärfe in der Architektur keine primär formale Frage ist, zeigt der Europan-Beitrag von Wolfgang Koelbl für Waidhofen an der Ybbs, ein »Entwurfs-Prolog«, der bewusst ein diffuses, teilweise ironisch vermintes Planungsfeld aufspannt, anstatt eine klare Lösung anzubieten.
In ihrem extra für den UmBau23 entwickelten suggestiven Fotoessay verweist Gisela Erlacher auf die Antithese des Diffusen, die engen Räume von Bunkern und Haftanstalten. Aber auch hier lauert in der Abfolge der Bilder, wenn der Unterschied zwischen Schutzraum und Gefängnis zu verschwimmen beginnt, ein Moment der Unschärfe. Der wissenschaftliche Teil bringt diesmal neun Beiträge, die von Kari Jormakka ab Seite 100 eingeleitet werden. Wir hoffen, dass die vorliegende Ausgabe in aller gebotenen Klarheit dem Thema gerecht wird.
UmBau 23
Diffus im Fokus - Haare, Schlamm oder Schmutz, zum Beispiel.
Österreichische Gesellschaft für Architektur & Institut für Architekturwissenschaften, Abteilung für Architekturtheorie, TU Wien (Hgg.)
Verlag Anton Pustet, Salzburg - München 2007
224 Seiten, mit SW-Abbildungen und einem Fotoessay von Gisela Erlacher und einem Interview mit Denise Scott Brown und Robert Venturi, broschiert
Preis € 12,00
ISBN 9783-7025-0531-8
Sprachen deutsch / englisch