Favoriten: Altes versus neues Stadtwachstum Von der Gründerzeit in das Sonnwendviertel
StadtdiskursvisiteVom Sonnwendviertel geht eine Debatte um die städtebaulichen Prämissen der Wiener Stadtentwicklung aus. Die Konversion des Süd- und Ostbahnhofareals hat direkt neben dem gründerzeitlichen Zentrum von Favoriten einen Stadtteil „auf die Höhe der Zeit“ wachsen lassen.
Den Blockrändern steht aber das Fragezeichen nach der Stadtstraße des postfossilen Zeitalters unbeantwortet ins Gesicht geschrieben. Die städtebauliche Erkundung stellt sich daher die Frage: Was lernen wir von den öffentlichen Räumen der Gründerzeit für den sozialverträglichen, klimagerechten Weiterbau der Stadt? Der erste Entwurf für die Bebauung von Favoriten entsteht gleichzeitig mit dem Bau der Südbahn Ende der 1830er Jahre. Alois Pichl zeichnet damals einen Erweiterungsplan für den noch nicht selbständigen, außerhalb des Linienwalls gelegenen Vorort. Das von den Trassen der Süd- und Ostbahn aufgespannte Geländedreieck füllt Pichl mit drei Blockformationen. 1865 erstellt von August Sicard von Sicardsburg einen pragmatischeren Bebauungsplan, der bis heute die Stadtfigur um Reumann- und Keplerplatz bestimmt. Der Straßenraster richtet sich nun nach den Höhenschichtlinien des Laaerbergs. Öffentliche Plätze und Bauten gliedern bei beiden Entwürfen die Blockrasterstadt in identifizierbare Viertel.
Favoriten ist von Anfang an der Stadtteil migrantischer Massen, insbesondere der Tschechen, die hier ein eigenes Schulwesen usw. etablieren. Die proletarischen Traditionen wirken heute auch unter veränderten Voraussetzungen nach. Das alte Favoriten unterliegt nun zwar hohem Umnutzungsdruck, doch viele der gründerzeitlichen Bauten und vor allem die öffentlichen Raume bewähren sich. Die städtebauliche Differenz zum neuen Favoriten um den Hauptbahnhof ist evident und diskussionswert.
Text: Walter Chramosta
Erkundung mit
Walter M. Chramosta, Architekturwissenschaftler und Stadtplaner, Arbeitsschwerpunkte Methoden des Entwerfens und Planens; kollektive Raumvorstellungen; Wechselwirkungen von Politik und Architektur.
Franz Denk, Architekt, Arbeitsschwerpunkte Stadtentwicklung und Stadterneuerung in Theorie und Praxis, Block- und Einzelsanierungen. Margarete-Schütte-Lihotzky-Stipendium, Landespreise in Wien und OÖ.