Wem gehören die Dächer Wiens? Zu Fragen der Bildpolitik und Verwertungsrechte
DiskussionDie gegenwärtige Architekturlandschaft versteht sich als pluralistische, alle Stile sind erlaubt. Dies wird als Stand der Dinge angenommen und scheint keiner weiteren Diskussion zu bedürfen. Während sowohl der Historismus als auch die Postmoderne – deren subtile Anfänge in den 60ern zu situieren sind – eindringliche Stildebatten führten und bei aller bereits im 19. Jahrhundert einsetzenden Entleerung und Beliebigkeit der Zeichen das Wissen um Restbestände von Bedeutungen bestehen blieb, scheint Semiotik heute – zumindest für ArchitektInnen – kein Thema mehr zu sein. Hier dominiert eine „moderne“ Einstellung, die Fragen des Stils nicht kennt: Man agiert nach bestem Wissen und Gewissen, macht „gute Architektur“, ohne sich über deren Rezeption und gesellschaftliche Bedeutungen bewusst zu sein. Gerade aber in einer Zeit, in der Architektur zum Marketingfaktor geworden ist, bietet die Semiotik ein wichtiges Instrumentarium.
Wenn nun die Dächer Wiens zur Disposition gestellt werden – und die Ausstellungen in der Gebietsbetreuung Ottakring und in der Planungswerkstatt mit dem Titel „Draufsetzen“ suggerieren dies –, müssen diese Fragen berücksichtigt werden. Viele ArchitektInnen scheinen die historistische Baumasse, die nach wie vor einen Großteil der Wiener Bausubstanz ausmacht, als Gebirgslandschaft zu betrachten, die nach Belieben bebaut werden kann. Der Wunsch nach Licht, Luft und Sonne, die Möglichkeit, unverwirklichte Architekturvisionen wahrzumachen, verwandeln die alten Dächer in UFO-Landeplätze. Das Feindbild des Denkmalschutzes und die Angst, als konservativ zu gelten, dominieren die Debatte und lassen dabei auf einige gesellschaftspolitische Fragen vergessen: Weniger geht es beim angekündigten großangelegten Dachausbau um moderne Architektur kontra Musealisierung, vielmehr geht es um Fragen zulässiger Verwertung und unseres Bildes von Stadt. Wem gehört der Himmel über Wien? Wer darf sich im Stadtbild manifestieren? Wie sichtbar darf Reichtum ausgestellt werden?
Robert Temel
Architekturjournalist und -forscher; Vorsitzender der ÖGFA; Autor einer vergleichenden Studie über Dachausbau in Wien, Berlin, Prag, Budapest und München.
Rudolf Kohoutek
Studium der Architektur an der TU Wien und Geographie an der Universität Wien; seit 1971 Forschungsarbeiten, Texte und Vorträge zu Architektur, Wohnen, Stadtentwicklung, Kultur und Planungsmethoden; Mitbegründer der „Urbanen Initiativen“.
Josef Matousek
Leiter der Magistratsabteilung 19 – Architektur und Stadtgestaltung.
Susanne Höhndorf
Studium Architektur und Design an der Kunstakademie Stuttgart und an der Hochschule für angewandte Kunst in Wien; Architektin der Gruppe RATAPLAN; Mitbegründerin der ig-architektur; Gastprofessuren in Estland 2001 und Paris 2003; seit 2002 Universitätsassistentin an der TU Wien.