Strukturalismus heute
Werner Sewing, D
VortragDer Sammelbegriff "Strukturalismus" wurde von Arnulf Lüchinger in den 70er Jahren eingeführt, als Bezeichnung für die niederländische Architekturszene rund um und die Zeitschrift Forum, die Ende der 50er Jahre von Aldo van Eyck, J. B. Bakema, H. Hertzberger und anderen begründet wurde. Er ist ebenso anwendbar auf die Bauten von G. Candilis und S. Woods, wie auf jene der Smithsons oder auch von Kenzo Tange und den japanischen Metabolisten.
Das Gemeinsame dieser Arbeiten ist die Überwindung der Funktionstrennung im Städtebau der klassischen Moderne. Urbanität als Funktionsmischung und -überlagerung ist ihr Anliegen, das sie mit offeneren Raumkonzepten zu erreichen suchen, die sich vorrangig mit den allgemeineren Problemen der Kommunikation und Erschließung und der Verteilung von offenen und geschlossenen, jedoch prinzipiell multifunktionalen Räumen beschäftigen. Dabei geht es um eine Architektur der Stadt, um die Überschreitung der engen Grenzen der Architektur, Haus und Stadt werden als Einheit gedacht – lange vor Rossi und der Postmoderne. Während die Metabolisten ihre Anregungen vorrangig aus der Kybernetik beziehen, richten sich die niederländischen Strukturalisten an den damals neuen Forschungen der Ethnologie aus, allerdings nicht an Claude Lévi-Strauss, der in diesem Feld den Strukturalismus begründete.
Die Beschäftigung mit einfachen traditionellen Bau- und Siedlungsformen, die Erschließung baugeschichtlicher Archetypen verbinden sie durchwegs mit einer modernen Formensprache.
Damit verhandeln die Strukturalisten, die sich seit den 50er Jahren im Team Ten organisierten, alle Fragen, die später die Postmoderne vereinnahmen sollte, allerdings als Selbstreflexion der Moderne, nicht als bloßen Aufguss des Historismus. Wenn sie sich im Gegensatz zur klassischen CIAM-Moderne auch nicht mehr an abstrakten Idealen ausrichten, sondern historische Bauformen als Anregungen verwenden, versuchen sie, diese in lebendige, zeitgenössische Strukturen zu übersetzen. Die erfolgreichere Postmoderne sollte sich danach mit dem Zitieren, also mit der Imagebildung begnügen.
Werner Sewing
Gastprofessor für Architektursoziologie und Architekturtheorie an der Universität der Künste in Berlin seit 2002. Studium der Soziologie (bei Niklas Luhmann), Politikwissenschaften und Geschichte, Promotion mit einer Arbeit zur Politik der Architektur; Forschungsaufenthalte und Gastprofessuren an der University of California, Berkeley, am Bauhauskolleg Dessau, der University of Kentucky, am Internationalen Zentrum für Kultur- und Technikforschung (IZKT) der Universität Stuttgart und Lehrstuhlvertretung für Geschichte und Theorie der Architektur und Stadt an der TU Braunschweig. Visiting Lecturer und Visiting Critic an der Architectural Association in London, Mitglied zahlreicher Fachbeiräte. Publikationen, u.a. : Bildregie. Architektur zwischen Retrodesign und Eventkultur (Basel, Boston, Berlin 2003), Architecture: Sculpture (München 2004).