ÖGFA Programm-Schwerpunkt 2006/2007: Transparenz - Strategien der Sichtbarkeit in der Architektur
AusschreibungMit dem Thema der Transparenz thematisiert die ÖGFA im Jahresprogramm 2006 einen Schlüsselbegriff der architektonischen Moderne, dessen Bedeutung sich zwischen aufklärerischen und emanzipatorischen Motiven auf der einen Seite und disziplinierenden, kontrollierenden Aspekten auf der anderen Seite hin und her bewegt. Transparenz wurde einerseits zu einer zentralen Metapher eines moralischen Imperativs demokratischer Gesellschaften im Sinne der Durchschaubarkeit institutioneller Abläufe wie auch andererseits zu einem Sinnbild der Überwachung im Ausdruck des „gläsernen Menschen“.
In der Architekturgeschichte war Transparenz, ermöglicht durch die technologischen Entwicklungen rund um den Werkstoff Glas, ein Leitmotiv der modernen Bewegung, deren Vorläufer die Glaspaläste des 19. Jahrhunderts waren. Bereits im 18. Jahrhundert allerdings wurde von Jeremy Bentham das Prinzip des Panopticons entwickelt, mit dem durch Transparenz neue Formen von Disziplinierung und Kontrolle ermöglicht wurden. Die Ambivalenz des Begriffs der Transparenz wurde unter anderem von Colin Rowe und Robert Slutzky in ihrem kanonisierten Text „Transparency“ anhand der Diskussion von Gebäuden Le Corbusiers oder Gropius als Entscheidung zwischen einer „sprichwörtlichen“ Transparenz und einer konzeptuellen, „phänomenologischen Transparenz“ artikuliert. Anthony Vidler wiederum wies in „The Architectural Uncanny“ darauf hin, wie schnell gläserne Transparenz in Undurchsichtigkeit oder auch in Spiegelung umschlagen kann.
Nicht zufällig spricht Vidler von Transparenz im Zusammenhang mit dem Unheimlichen. Wollte man einst den Mythos, die Tyrannei und das Irrationale durch Transparenz auslöschen, so schleicht sich das Ausgegrenzte durch die vielfältigen Möglichkeiten der Überwachung wieder ein. Genau in der engen Verbindung dieser beiden Vektoren, in der Fähigkeit, vom einen zum anderen hinüber zu gleiten, liegt für ihn das Unheimliche begründet. Ging es zu Anfang des 20. Jahrhunderts noch vor allem um die Kontrolle und Domestizierung des Außen, wie etwa beim Aussichtsfenster, das eine Art visueller Besitzerschaft der ästhetisch gerahmten Landschaft suggeriert, so scheint gegenwärtig die medial gestützte Beobachtung des Subjekts durch immaterielle Techniken der Datenerhebung die These zu unterstützen, das „verkabelte“ Haus werde durch immaterielle, mediale Kanäle mindestens ebenso überwacht wie die Landschaft durch das Fenster.
Nach der postmodernen Kritik der Transparenz als Bestandteil funktionalistischer Architekturansätze hat das Thema unter stark imagepolitisch geprägten Vorzeichen wieder Konjunktur. Spätestens seit den französischen „Grands Projets“ manifestiert sich die „unheimliche“ Rückkehr der Transparenz in der Architektur unter den Vorzeichen einer mediatisierten Wahrnehmung von Raum und Stadt. Hier ging es vor allem um die Inszenierung von Architektur mittels Transparenz als ein Bild - um eine Imagepolitik, die in der Verwandlung der Realität in ein Bild der Realität ein Mittel zur politischen Instrumentalisierbarkeit von Architektur erkennt. Ist mit der großflächigen, forcierten Verwendung von Glas eine Legitimation der Politik unter dem Motto der Transparenz gemeint, so kann realpolitisch in Frage gestellt werden, ob diese gebauten Metaphern für Zugänglichkeit und Durchlässigkeit über ein an ihren Oberflächen konstruiertes Bild hinausgehen. Mit der monumentalen Kulissenhaftigkeit von Bauten wie etwa Perraults Nationalbibliothek geht zudem eine Theatralisierung des städtischen Raums im Sinn einer urbanen Eventkultur und Stadtprogrammierung einher. Auch die mit der Verwendung von z.B. entspiegeltem Glas prekär gewordene Grenze zwischen Innen- und Außenraum bedingt ein Subjekt, das sowohl um die Omnipräsenz eines alles durchdringenden Blicks weiß als auch um sein unentwegtes Gesehenwerden.
Das Wissen um das Gesehenwerden ist der zentrale Modus der Kontrolle in dem von Foucault thematisierten Gefängnismodell des Panopticons, das die permanente reale Anwesenheit des kontrollierenden Blicks überflüssig macht, solange nur die aktualisierbare Möglichkeit von Transparenz besteht. Ulrich Bröckling verwies mit seinem Begriff des demokratisierten Panopticons auf die gegenwärtigen Mikrotechnologien der Macht, die in den flexibilisierten Arbeitswelten zeitgenössischer Büroumgebungen eine neue Form der Transparenz herausbilden, die sich vom materialisierten Bild der blickdurchlässigen Fassaden entkoppelt und einen internalisierten beobachtenden Blick adressiert. So wird etwa in so genannten „360-Grad-Feedbacks“ die „Performance“ von Mitarbeitern durch ihre Kollegen evaluiert, aber man bewertet sich dabei auch selbst. Damit ist ein Regime der reziproken Sichtbarkeit installiert, das über die räumliche Konfiguration hinaus eine Ökonomisierung und Normierung sozialer Verhältnisse bedingt, dessen Konsequenzen für die Architektur auch in ihren eigenen Produktions- und Verfahrensweisen auszuloten sein wird.
Entscheidend am aktuellen ÖGFA Schwerpunkt „Transparenz – Strategien der Sichtbarkeit in der Architektur“ wird sein, dass damit einerseits ganz simpel eine Materialeigenschaft beschrieben ist, andererseits aber vor allem eine Wahrnehmungsfigur angesprochen ist, die über je spezifische Blickregime auch die Rolle und das Bild des Subjekts als sozial und kulturell produzierte Idee verhandeln lässt.
Angesichts eines viel beschworenen „Pictorial Turns“ in einer visuell dominierten Kultur sollen entlang des Begriffs der Transparenz die Möglichkeiten der Architektur ausgelotet werden, innerhalb einer kulturellen Logik der Bildproduktion und Imagepolitik einzugreifen.
Christian Teckert