Über die Fähigkeit, anderweitig zu agieren
Tatjana Schneider, UK
VortragIn den letzten Jahren ist es wieder vermehrt zu Publikationen und Symposien, von akademischer wie auch aktivistischer Seite, zum Thema der Architekturproduktion gekommen. Es geht um „kritische“ Architektur oder „projektive Praxis“, um die Frage der „Autonomie“ oder „Autopoiesis“, um das Aufkommen einer neuen „Avantgarde“.
Während diese Diskussionen im besten Falle die Fokussierung auf Architektur als rein ästhetisches und/oder technisches Objekt frei von moralischen oder ethischen Dimensionen in Frage stellt, so wird doch weder bestimmt noch absolut über die Rolle des Architekten per se debattiert. Das Unterlassen einer Reflektion über das agierende Subjekt führt dabei zu einer Marginalisierung sowohl der Profession und das Wissenszweiges Architektur. Darüber hinaus untermauert es auch eine selbstverschuldete Beschränkung der Fähigkeiten des Architekten und von dessen ,Macht‘ zu handeln.
Peter Marcuse bemerkte in einem Interview mit AnArchitektur, dass Architekten in einer Art und Weise benutzt wurden und werden, die diese versuchen sollten zu vermeiden. Die Formulierung des benutzt werden spricht hier eine der größten Schwächen des Systems an, nämlich das der Reaktivität. Architekten reagieren und realisieren so nicht das Potenzial, welches in der Position des aktiv Handelnden, des Fordernden, des Agierenden liegt.
Die Referenz zu Anthony Giddens Definition des Begriffs agency, welche im Titel anklingt, beginnt hier eine Auseinandersetzung darüber, wie Architekten und andere als agents, als (Ver)mittler, mit anderen in der Produktion von sozialem Raum tätig sein können. Architektur als agency deutet auf ein Verständnis von Architektur als politische und soziale Praxis hin. Es ist eine Praxis, die fest im Kontext der Welt jenseits der Architektur verankert ist, und deswegen kritisch ob ihrer Struktur sein kann, um in umgestaltender Art und Weise eingreifen zu können.
Diese Verschiebung des Selbstverständnisses von Architektur und architektonischer Praxis würde die Rolle des Architekten erweitern und dadurch ebenso die Konsequenzen der Architektur und des Bauens wie auch deren Objekte berücksichtigen. Gleichzeitig bedeutet dies auch eine Überwindung eines internalisierten Diskurses und die Öffnung der Disziplin, um zu berücksichtigen, einzubinden, miteinzubeziehen und einzuplanen.
Im Hinblick auf weitreichende soziale, ökonomische und ökologische Veränderungen, welche die Architektur keinesfalls außen vor lassen, sind ,alternative‘ Modelle der architektonischen Praxis gefragt, die sozialen Wandel aktiv herbeiführen, wobei der Architekt allerdings nicht der (Ver)mittler oder agent ist, sondern nur einer von vielen.
Tatjana Schneider
geb. 1974, lehrt und forscht an der School of Architecture, University of Sheffield, England. Sie hat an der Universität Kaiserslautern und Strathclyde University in Glasgow studiert und promoviert. Sie war Gründungsmitglied der Kooperative G.L.A.S. (Glasgow Letters on Architecture and Space, 2001 – 2007), einer Gruppe, die durch theoretische und praktische Arbeiten Kritik an der kapitalistischen Produktionsweise unserer gebauten Umwelt geübt hat. Dies fand einerseits in der Partizipation an internationalen Workshops, Seminaren, Ausstellungen und Vorträgen Ausdruck, andererseits in der Publikation von glaspaper, einer Zeitung, die in zehn Ausgaben durch kritische Texte, Grafiken und polemische Arbeiten Alternativen zu dominanten Planungsmethoden und -prozessen publizierte.
Seit 2007 forscht sie zum Thema Alternative Architectural Praxis (finanziert durch den Arts and Humanities Research Council).
Als Architektin hat Tatjana Schneider für den verstorbenen Münchner Architekten Otto Steidle gearbeitet, wo sie unter anderem auch für die Ausführung von Steidles Beitrag zur Architekturbiennale in Venedig, Nomads Tower, im Jahr 2000 zuständig war.
Publikationen (Auswahl): Flexible Housing (zusammen mit Jeremy Till, Architectural Press, 2007), This Building should have some sort of Distinctive Shape. The Story of the Arts Tower in Sheffield (herausgegeben von PAR, 2008);
Co-Editor des e-journals field: (http://www.field-journal.org/), Editor von glaspaper (www.glaspaper.com). Ein Buch, welches das Thema dieses Vortrags behandelt, wird voraussichtlich im Jahr 2010 bei Routledge erscheinen.