Status Quo Vadis – Die Zukunft der Architektur als Prognose und Programm
Das neue Schwerpunktprogramm der Österreichischen Gesellschaft für Architektur versucht, Architektur gleichzeitig als spezifisches Feld und als Symptom zu sehen: als Symptom für breitere Entwicklungen im Feld der Kreativ- und Wissensberufe. Es geht einerseits um eine Prognose, basierend auf der Analyse aktueller Entwicklungen, und andererseits um ein Programm, also Vorschläge für bestimmte Entwicklungsrichtungen, die jetzt noch nicht scharf oder eindeutig erkennbar sind.
Wer strukturiert das Feld der Architektur? In ihrem Schwerpunktprogramm möchte die ÖGFA Blicke von außen wie von innen auf dieses Feld werfen – stellvertretend für aktuelle Entwicklungen, die über Architektur weit hinausgehen. Die Architektur wird durch externe Kräfte mehr geprägt als durch interne, so die Einschätzung des englischen Architekten und Theoretikers Jeremy Till. Welche Bedeutung hat die Autonomie der Architektur heute? Die Architekturproduktion soll einerseits als Fallbeispiel für breiter verankerte Entwicklungen betrachtet werden und andererseits in ihrer Spezifik Eindrücke über die Zukunft des Feldes erlauben. ArchitektInnen ebenso wie Interessierte aus verwandten Feldern sollen angesprochen sein.
Im Mittelpunkt steht die Frage nach neuen Praktiken und neuen Selbstdefinitionen: Wie sich Architekturbüros heute – anders als bisher im architektonischen Mainstream üblich – organisieren, wie sie arbeiten, mit wem sie kooperieren und welchen Bildern des Berufs und seiner Stellung in der Gesellschaft sie folgen. Architekturschaffende haben eine bestimmte Sichtweise auf Projekte erworben, die durchaus auf andere Bereiche übertragbar ist: Problem- und Lösungsorientierung, one-of-a-kind-Denken, Glaube an die Technik, gesellschaftliche Verantwortung über die einzelne Dienstleistung hinaus, visuelles Wissen etc. Trotzdem ändern sich derzeit viele Voraussetzungen, die lange Zeit für die architektonische Praxis gegolten haben, massiv. Wie in anderen kulturellen Feldern (Journalismus, Literatur, Musik etc.) findet auch in der Architektur aktuell ein Wechsel der Produktionsbedingungen statt, der so wie in diesen anderen Feldern von einer Veränderung des Verhältnisses zwischen ProduzentInnen und NutzerInnen bestimmt ist. Gleichzeitig wird heute langsam absehbar, wie sich Digitalisierung und Vernetzung auf die Produktion selbst und auf die „Kulturtechnik Entwerfen“, so der Titel eines Symposions Ende 2007, auswirken, und die Auseinandersetzung zwischen Architektur als autonomem Feld und Wissenschaft als Methode der Vermittlung und der Produktion führt zu einer neuen Selbstbestimmung der Architektur. Gegenüber dem modernen Paradigma der von materiellem wie sozial-kulturellem Umfeld autonomen Setzung und dem postmodernen Zugang der Unabhängigkeit der Zeichen stehen nun vielfältige Abhängigkeiten im Mittelpunkt der Betrachtung, die gleichzeitig neue Möglichkeiten eröffnen: Planen im Bestand, Planen im Klimawandel, der Bezug zur Landschaft und zur Typologie sind aktuelle Themen. Damit im Zusammenhang steht auch die Frage, wie das Planen geplant wird oder wie Entscheidungen vor der Architektur so zu fällen sind, dass sinnvolles Planen überhaupt möglich ist. Eine neue Konzentration auf die strukturierenden Rahmen-bedingungen, auf die externen Kräfte ermöglicht neue Freiräume.
Schwerpunkt-Themenblöcke
Thematisch gliedert sich der Schwerpunkt in vier Blöcke: Den Anfang machen Erkundungen zum Thema Neue Produktionsweisen – Planungsmethodik und Arbeitsprozesse in der Architektur: heute und historisch. Im Herbst 2009 folgt eine Auseinandersetzung mit dem weiten Feld Neue Aufgaben – Planen im Bestand, Planen im Klimawandel, Planer. Im Frühjahr 2010 wollen wir die Beziehungen zwischen PlanerInnen und NutzerInnen mit Neue Änderungen im Verhältnis zwischen Produktion und Rezeption erkunden. Und im Herbst 2010 werfen wir einen Blick hinter die publizistischen Strategien.
I. Neue Produktionsweisen – Planungsmethodik und Arbeitsprozesse heute und gestern
Am Beginn steht die Auseinandersetzung mit den Produktionsweisen: Das Entwerfen gilt als primärer kreativer Prozess und der architektonische Entwurf, der ein realisierbares Gebäude als Ziel hat, wird traditionellerweise als Kreation und weniger als Erkenntnis verstanden. Dabei ist er vielmehr als Destillat von zeitgenössischen Ideen und zeitgeistigen Strömungen zu verstehen, untrennbar gekoppelt an die Darstellungsmedien. Denn die klassischen ebenso wie die digitalen Techniken, Medien und Methoden strukturieren den Prozess des Entwerfens mit. Zentrale Bedeutung erlangt demnach eine kritische Beleuchtung der Entwurfs-Praxen: Präsentiert und erneut zur Diskussion gestellt werden innovative Planungs-theorien der Nachkriegsmoderne, darüber hinaus erfolgt eine Überprüfung viel versprechender Methoden anderer Disziplinen für die potenzielle Anwendung im Bereich der Architektur.
II. Neue Aufgaben – Planen im Bestand der zweiten Natur, Planen in der Krisengesellschaft
Die Ressourcenfrage, die fortschreitende Suburbanisierung und Versiegelung, technische und stadtplanerische Mängel des Massen-wohnbaus der Nachkriegszeit, die demografische Entwicklung (Erbengeneration, schrumpfende Städte) oder die fragmentierten Freiräume der Zwischenstadt machen die Auseinandersetzung mit bestehenden Strukturen zu dem Aufgabenfeld der Zukunft. Angesichts der schieren Masse an Gebautem stellt sich auch die Frage nach den Begriffen von Neuheit und Historizität von Architektur in verschärfter Weise. Die Energiekrisen und der Klimawandel rücken ineffizienten Gebäudebestand in den Mittelpunkt. Die Auswirkungen auf die Architekturproduktion sind vielfältig und reichen von der Entwicklung und Über--nahme neuer Technologien und Materialsysteme bis zu neuen typologischen, räumlichen und funktionalen Lösungen.
III. Neue Besetzung – Änderungen im Verhältnis zwischen Produktion und Rezeption
Bereits in den 1970er und 80er Jahren gab es eine Konjunktur der Mitbestimmung im Bauen – ein Thema, das derzeit unter veränderten Bedingungen wieder an Bedeutung gewinnt. Ein Zurück zu den Pilotprojekten der Vergangenheit scheint nicht sinnvoll, wohl aber neue Formen der Kooperation zwischen ArchitektInnen und NutzerInnen. Dazu zählen das partizipative Entwerfen, aber auch Prozessmediation, neue Vermittlungsformen, die Technikfolgenabschätzung und verschiedene Ansätze des Community Design. Die partizipative Einbindung von NutzerInnen in die Planungsprozesse und die Demokratisierung von Planung selbst ist ein Thema von besonderer Relevanz.
IV. Mediale Repreäsentation in der Architektur
Jede Reflexion über Architekturtheorie hat im digitalen Medienzeitalter von einem Faktum auszugehen, nämlich dem außerordentlichen, kulturellen Wandel, der durch einen Swift einer modernistischen Objektproduktion zur postindustriellen Bilderkonsumation gekennzeichnet ist.
Aufgrund der sich dramatisch verschiebenden kulturellen Dominante steht die Architektur im Zentrum jener Dynamik, die sich als Übergang vom linguistic turn der sechziger Jahre zum iconic turn des Medienzeitalters beschreiben lässt. War seit den sechziger Jahren Architekturtheorie weitestgehend zeichenbasiert – wie in den Konzepten des Strukturalismus, der Postmoderne und des Dekonstruktivismus –, so scheint heute mit dem iconic turn eine grundlegende Rekonzeptualisierung der Architektur auf medien- und bildtheoretischer Basis notwendig.