Margarita Tsomou: Spuren der Platzbesetzungen 2011
VortragGriechenland: Selbstorganisation im Alltag als Widerstand gegen das Memorandum und Katalysator von Transformation
Das Thema „Griechenlandkrise“ wird in den letzten Monaten überwiegend als Verhandlungsmarathon der griechischen Regierung mit den Gläubigern diskutiert. Doch ihr Aufstieg ist nur in zweiter Linie eine Glanzleistung charismatischer Persönlichkeiten – vielmehr ist er an die seit 2010 tobenden Anti-Memorandums Bewegungen der griechischen Gesellschaft gekoppelt. Als Zäsur gelten hierbei die Platzbesetzungen der Empörten 2011, die inspiriert vom arabischen Frühling und den spanischen Indignados eine bis dahin unvorhergesehene populäre Massen- bewegung mit neuartigen Charakteristika, mit Praktiken der gegenseitigen Selbstsorge, mit demokratischen Versammlungsformen und einer Sprache jenseits der linken Rhetorik, ein neues Alphabet des Politischen ins Zentrum der neoliberalen Städte brachte. Diese Praktiken und ihre Diffusion im Alltag sollen im Fokus des Vortrags stehen, da ich sie als die entscheidenden Katalysatoren für die transformatorischen Prozesse Griechenlands herausarbeite.
Die Formen gemeinschaftlicher und unentgeltlicher (Re-)Produktion aus den Platzbesetzungen sind als „Solidarische Ökonomien“ nach 2011 explodiert – als inoffizielle Praktiken der Selbsthilfe, die sich in Familien, Freundeskreisen, Nachbarschaften und lokalen Milieus als Teil der Populärkultur in den Alltag einschreiben. Sie haben das angestoßen, was der argentinische Theoretiker Raul Zibechi, im Unterschied zum Begriff der „sozialen Bewegungen“, „Gesellschaften in Bewegung“ nennt: nicht abgrenzbare Kräfte des Gemeinschaftlichen, die mit Selbstorganisation, neue soziale Beziehungen etablieren – Sie sind diejenigen, die in Zukunft das Rückgrat für eine politische Organisierung bilden werden, unabhängig von jeglicher Schuldenvereinbarung in der Arena der repräsentativen Politik. Text: Margarita Tsomou
ÖGFA_Vortrag
Margarita Tsomou
ist Griechin und arbeitet als Autorin, Dramaturgin, Kuratorin in Berlin. Sie gibt die Zeitschrift Misst Magazine heraus; promoviert zu der Platzbesetzung des Syntagmaplatzes 2011 in Athen. Als letztes kuratierte sie im August 2015 die Konferenz „THIS IS NOT GREECE - Erzählungen von der Krise“ am Kampnagel in Hamburg.
Respondenz
Elke Krasny
Kuratorin, Stadtforscherin, Professorin an der Akademie der bildenden Künste, Wien
Kuratierung und Moderation: Angelika Fitz, ÖGFA