Podiumsdiskussion: Ring-Zone
DiskussionWenn Henri Lefebvre 1968 „Le droit à la ville“ einfordert, so ist die Zielrichtung klar: Die fehlende Entfaltungsmöglichkeit der unterprivilegierten Schichten in den infrastrukturellen Wüsten der Vorstädte. Auslöser der bekämpften Entrechtung der StadtbewohnerInnen ist aber die „Aufwertung“ des Zentrums – im Paris der 1960er Jahre nicht anders als in Wien 2013. Ein „Luxusproblem“?
Konkret drängt sich ein Bild auf, das zu verifizieren sein wird, das zum Handeln zwingt: Die von der Stadtpolitik heute meist mit Argumenten der Förderung von Vielfalt und Urbanität, aber auch mit dem unschlagbaren Imperativ der „Verdichtung“ unterlegte Verwertung der prestigeträchtigsten „Potenziale“ des Stadtbestandes durch Investoren, schafft Archipele des Luxus und verdrängt, über soziale Randgruppen hinaus, breite Bevölkerungsschichten. Für Wien ein übertriebenes Bild? Die jüngsten Entwicklungen um das Gebiet der Wiener Ringstraße lassen Zweifel aufkommen, zeigen, wie sehr der Druck durch die seit zwei Jahrzehnten gestiegene wirtschaftsstrategische Bedeutung Wiens und durch die erwartete Bevölkerungszunahme angewachsen ist. Ein „Maßstabssprung“ wird gefordert. Manche sprechen bereits von einer neuen Gründerzeit. Auch wenn dieser Vergleich allein am Vergleich der Zahlen und Fakten scheitern muss: Er macht Begehrlichkeiten deutlich, enthüllt dahinter eine seit Jahrzehnten verabsäumte öffentliche Debatte darüber, was uns das Zentrum von Wien über seine touristische Verwertung hinaus bedeutet. Ein Zentrum, das schon seit über 100 Jahren nicht mehr am Stephansplatz oder am Graben liegt, sondern sich als Stadtschicht mit autonomer – und emblematischer – Bedeutung um den mittelalterlichen und barocken Kern legt. Unser Rathaus steht nicht mehr an der Wipplingerstraße.
Die gründerzeitliche Stadtanlage im Bereich des ehemaligen Glacis gehört unbestritten zu den bedeutendsten Leistungen des europäischen Städtebaus im 19. und 20. Jahrhundert – eine für Wien einmalige Leistung. Ihre emblematische Bedeutung besteht nicht nur in Form von Monumentalbauten und staatstragenden Institutionen. Sie wird, kaum zufällig vor diesem Hintergrund, unter anderem dadurch klar, dass kaum ein Wiener Groß-Event von dem öffentlichen Raumangebot der Ring-Zone absehen kann. Vor allem aber manifestiert sie sich in dem Nutzungsreichtum im Alltag der StadtbewohnerInnen, der hier den öffentlichen Raum prägt. Das „Recht auf Stadt“ ist hier vor allem das Recht auf qualitativ
hochwertige Freiräume für unvergleichlich vielfältige Nutzergruppen.
Im Rahmen des neuen Schwerpunktprogramms „Das Geschäft mit der Stadt“ stellt die ÖGFA daher auch die Frage nach diesem Zentrum – der Ring-Zone – sowie möglichen kollektiven Zukunftsvorstellungen und partikularen Verwertungsinteressen. Der aktuelle Anlass besteht unter anderem in Form zweier Immobilienentwicklungen, einem Projekt der Wien-Holding an der Rathausstraße und dem breit diskutierten und kritisierten Vorhaben der WertInvest-Immobiliengruppe beim Wiener Eislaufverein, sowie einer im Umfeld dieser Projekte losgetretenen Debatte um einen Masterplan für die gesamte Ringzone, der eine Chance, aber auch die Gefahr darstellen könnte, im Zeichen einer Nachverdichtung“ Verwertungsinteressen Vorschub und der StadtbewohnerInnen eine Bärendienst zu erweisen. Diese Debatte an die Öffentlichkeit zu bringen, ist das Ziel der Veranstaltung. Unter der Moderation von Andreas Vass diskutiert Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou mit den ExpertInnen Lilli Licka (Freiraumplanung), Otto Kapfinger (Architektur und Stadtgeschichte) und Reinhard Seiß (Stadt- und Raumplanung).
Text: Andreas Vass
Es diskutieren:
Otto Kapfinger
Studium der Architektur an der Technischen Universität Wien; 1970 Mitbegründer von Missing Link; 1979 bis 1990 Redakteur der Zeitschrift UmBau; 1981 bis 1990 Architekturkritiker der Tageszeitung „Die Presse“; diverse Buchveröffentlichungen und Ausstellungskonzeptionen zur modernen und gegenwärtigen Baukunstin Österreich; zahlreiche Fachpublikationen.
Lilli Lička
Studium der Landschaftsökologie und Landschaftsgestaltung an der Universität für Bodenkultur Wien, 1989 - 1990 Praxis und Forschung in den Niederlanden, seit 1991 Büro koselička Landschaftsarchitektur Wien, seit 2003 Professur und Vorst.ndin des Institutes für Landschaftsarchitektur der Universität für Bodenkultur Wien; Forschung und Realisierung: Urbane Freiräume, öffentlicher Raum, Historische Gärten, Wohn- und Bildungsfreiräume, Urbane Landwirtschaft.
Erich Raith
Architekturstudium an der TU Wien, seit 1989 Freischaffender Architekt in Wien, 1996 Dissertation, 1999 Habilitation und Lehrbefugnis als Universit.tsdozent für das Fach „Stadt- und Siedlungsmorphologie“, 1999 bis 2010 Vorstand des Instituts für St.dtebau und Raumplanung bzw. Leiter des Fachbereiches „Städtebau“ am Institut für Städtebau, Landschaftsarchitektur und Entwerfen, Arbeits- und Projektgemeinschaften mit G.W. Reinberg, A.Wimmer, querkraft, noncon:form, R. Gallister.
Reinhard Seiß
Studium der Raumplanung und Raumordnung an der TU Wien, Dr. techn., Tätigkeit als Planer in Österreich, Deutschland und Russland; seit 1994 international tätig als Fachpublizist, Buchautor und Filmemacher im Bereich Städtebau und Raumplanung; internationale Lehr- und Vortragstätigkeit; Mitglied der Deutschen Akademie für Städtebau und Landesplanung.
Maria Vassilakou
Maria Vassilakou zog im November 1996 als erste Abgeordnete mit Migrationshintergrund in den Wiener Gemeinderat und Landtag ein und wurde 2004 Klubobfrau der Wiener Grünen. Seit November 2010 ist Maria Vassilakou die erste Grüne Vizebürgermeisterin in Wien und amtsführende Stadträtin für Stadtentwicklung, Verkehr, Klimaschutz, Energieplanung und BürgerInnenbeteiligung. Maria Vassilakou wurde in Griechenland geboren und sieht Wien als weltoffene, moderne und diverse Stadt.
Moderation: Andreas Vass