ÖGFA_Vortrag: Verantwortung für den Raum, Friedrich Schindegger, Wien
VortragIst Raumentwicklung das Ergebnis von Planung?
„Wenn sich ein Investor und ein Grundstückseigentümer einig sind, dann treiben sie jeden Bürgermeister vor sich her“, so beschreibt der Raumplaner Friedrich Schindegger das realpolitische Dilemma der Stadt- und Raumplanung in Österreich. Was muss sich ändern, damit die Raumplanung ihre Rolle als Anwältin des Gemeinwohls wahrnehmen kann?
„Unsere Siedlungsräume sind nicht das Ergebnis eines ausgeführten Planes, sondern die räumliche Ausprägung der Wertvorstellungen und Machtverhältnisse der darin lebenden Gesellschaften. Diese zeigen sich in all ihrer Komplexität und in einer beeindruckenden Beharrlichkeit durch die gesamte Geschichte hindurch bis in unsere Gegenwart, nur gelegentlich durchbrochen von herausragenden Einzelprojekten.
Waren es gegen Ende des 19. Jahrhunderts in Wien die Einbindung der bereits dicht verbauten Vorstädte sowie der Bau der Ringstraße auf dem ehemaligen Glacis, die Donauregulierung sowie das Gesamtkunstwerk der städtischen Infrastruktur von Otto Wagner, die Wien eine neue Qualität verschafften, so sind es im 20. Jahrhundert zunächst die auf die ganze Stadt verteilten Volkswohnpaläste der Gemeinde Wien. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts sind es nach dem rasanten Wiederaufbau vor allem die Rolle der Stadt als Sitz von UNO-Einrichtungen, der U-Bahnbau, die Sanierung der umfangreichen Wohnbausubstanz aus der Gründerzeit und die Donauinsel, welche die Stadt neu prägten. Was aber läuft bei den zahllosen Einzelprojekten kleineren und größeren Umfangs, wo Stadtplanung häufig auf die Legitimation von politisch durchgesetzten Einzelinteressen reduziert wird? Diese Frage stellt sich sowohl für Interventionen im Bestand, für Neuanlagen in den sogenannten Entwicklungsgebieten oder an den vernachlässigten Stadträndern?
Was lässt sich lernen aus den ‚Vorzeigeprojekten’ der letzten Jahrzehnte? Architektur zeigt stets implizite gesellschaftspolitische Wirkungen. Aktuell wird sie jedoch zunehmend für politisches und kommerzielles Branding eingesetzt. Nicht besser geht es der Raumplanung, die am Gängelband der Tagespolitik hängt. Lobby haben sie beide keine. Wo liegen Schnittstellen und gemeinsame Aufgaben von Architektur und Raumplanung als explizit gesellschaftspolitischen Aufgaben?
Wird die Stadtregion Wien als eine Verantwortungsdimension wahrgenommen? Wer trägt die Verantwortung für das urbane Umfeld aktueller Großprojekte? Wird die Verwertungslage der Investoren zum eigentlichen Gestaltungskriterium? Wer vertritt in einer Periode absoluter Klientelpolitik die Interessen des Gemeinwohls? Mehr Fragen als Antworten. Räumliche Gemeinwohlvorsorge braucht jedenfalls Rückhalt in der öffentlichen Meinung. Wichtigstes Aufgabenfeld der Raumplanung ist deshalb Bewusstseins- und Meinungsbildung.“
Text: Friedrich Schindegger
Vortrag:
Friedrich Schindegger
Diplom in Architektur, Dissertation in Raumplanung. Langjähriger wissenschaftlicher Referent im Österreichischen Instituts für Raumplanung, davon elf Jahre stv. Leiter, befasst mit Projekten auf allen Maßstabsebenen der Raumplanung, lokal bis international. Lehraufträge an mehreren Universitäten. Autor des Buches RAUM. PLANUNG.POLITIK, Ein Handbuch zur Raumplanung in Österreich, Böhlau Verlag, Wien 1999.
Respondenz:
Sibylla Zech
Raumplanerin, Univ. Prof. an der TU Wien, Department für Raumplanung, Fachbereich Regionalplanung und Regionalentwicklung, Gründerin Planungsbüro stadtland, Ingenieurbüro für Raumplanung und Raumordnung sowie Landschaftsplanung und Landschaftsarchitektur; Arbeitsschwerpunkte: Stadt- und Regionalentwicklung, ökologisch und soziokulturell orientierte Raumplanung, kommunikative Planungsprozesse.
Moderation: Angelika Fitz, ÖGFA