ÖGFA_Stadtdiskursvisite 02: WEV und Hotel InterContinental
SonstigesWEV und Hotel InterContinental
Rundgang mit Diskussion
Wir befinden uns mitten in der Ring-Zone, und doch wird ihre so robuste Struktur hier prekär. Fichte hat Pech: seine Gasse wurde zur Garagenzufahrt umfunktioniert, auf der Lothringerstraße dagegen – sie hat man zur B1 ernannt – braust zwischen Pfosten und Masten der Verkehr. Aber auch der Heumarkt zeigt unbewältigte Geschichte: hart vor den frühgründerzeitlichen Häusern des Ölzeltviertels bricht das Niveau um ein Geschoss nach unten. Der Ortskundige weiß: hier war einmal Wiental, „Wasserglacis“. Dazwischen der Wiener Eislaufverein, einer jener zum Mythos neigenden Orte, die wir, eher als an der Form, „an ihrem Gang“ erkennen, am Geschehen, an der Erinnerung seit Generationen. Aber der Ort hatte auch sein „Gefäß“: Ein geplanter Park entlang der Wien zwischen Karlsplatz und Donaukanal, den der Eislaufplatz zumindest rudimentär erahnen ließ. 1960 wird das Areal zugunsten des Hotelbaus beschnitten, 1964 die Verbindung zum Park durch die Hochhausscheibe gekappt. Seit 2012 plant der neue Eigentümer des Hotels und der zuvor privatisierten Liegenschaft des Eislaufvereins, den Rest um das 3-fache der gültigen Widmung zu verdichten. Der Attraktivität der Lage ist’s geschuldet, mit „Sanierungsbedürftigkeit“ wird argumentiert. Ein Wettbewerb läuft, aber da die Wünsche des Investors nach Baumasse und Bauhöhe, von der Fachwelt massiv kritisiert und mit dem Welterbestatus in Konflikt, unverrückbar erscheinen, ist der Ausgang zweifelhaft. Was also braucht, was verträgt der Ort wirklich? Otto Kapfinger hatte im März die Welle der Kritik in der Fachöffentlichkeit ausgelöst. Er wird im Dialog Gunther Wawrik, der sich in zahlreichen Gesprächen mit den Projektbetreibern und der Stadt kritisch zu Wort gemeldet und mit Lösungsansätzen argumentiert hat, durch und um das Areal führen. Alle Beteiligten am bisherigen Prozess sind herzlich zum Mitdiskutieren eingeladen!
Text: Andreas Vass
Otto Kapfinger
Studium der Architektur an der Technischen Universität Wien; 1970 Mitbegründer von Missing Link; 1979 bis 1990 Redakteur der Zeitschrift UmBau; 1981 bis 1990 Architekturkritiker der Tageszeitung „Die Presse“; diverse Buchveröffentlichungen und Ausstellungskonzeptionen zur modernen und gegenw.rtigen Baukunst
in Österreich; zahlreiche Fachpublikationen.
Gunther Wawrik
Geboren in Salzburg Parsch; 1948 - 1949 Zimmerer- und Maurerlehre; 1949 - 1956 Technische Hochschule Wien, Fakultät für Architektur; 1956 Internationale Sommerakademie für bildende Kunst, Konrad Wachsmann; 1961 - 1980 Architekturbüro mit Hans Puchhammer; 1978 Vorsitzender der Österreichischen Gesellschaft für Architektur; 1981 Preis der Stadt Wien für Architektur; 1985 - 1998 Professor für Entwerfen, Baukonstruktion und Städtebau Fachhochschule München; 1992 - 1996 Bürokomplex Holzmarktstrasse, Berlin mit Lucia Beringer; 1992 - 1999 Aussegnungshalle Gräfelfing, Deutschland; Vorträge und Publikationen
Moderation: Elise Feiersinger und Andreas Vass / ÖGFA
Allgemeines zu den ÖGFA_Stadtdiskursvisiten
ÖGFA_Stadtdiskursvisiten
Lokalaugenschein beim Geschäft mit der Stadt
Wien wächst und die Frage des Wohin ist gestellt. Um weitere Zersiedlung im diffus wachsenden Einzugsbereich zu verhindern, scheint Nachverdichtung die Methode der Wahl. Hier stellt sich aber umso mehr die Frage des Wo und des Wie.
Gewisse Vorhaben verpassen dem an sich unbestrittenen Konzept der Nachverdichtung ein denkbar schlechtes Image, noch bevor Regeln etabliert sind – oder gegen jede Regelung. Das Gefühl macht sich breit, dass die Geschäfte einiger weniger als ökologisches und ökonomisches Interesse der Stadt verkauft werden. Die ÖGFA_Stadtdiskursvisiten sind ein neues, experimentelles Format, mit dem die ÖGFA auf Orte besonders kontroverser Nachverdichtung aufmerksam macht – vor Ort und vorweg.
Vorweg: Wir gehen davon aus, dass Nachverdichtung nicht in jedem Fall, nicht an jedem Ort, nicht zu jeder Zeit, nicht auf jede Weise und nicht in jedem Maß einen Gewinn für die Allgemeinheit darstellt. Verdichtung ist ein wichtiges Werkzeug im Kampf gegen Ressourcenvernichtung nur dort, wo sie Menschen, jenseits der „rich and beautiful“, optimale Lebensbedingungen anbietet, ihren Nutzungsansprüchen Raum gibt, etwa in den Großwohnanlagen der Nachkriegszeit und in den monofunktionalen Entwicklungsgebieten der letzten Jahrzehnte fehlende Infrastrukturen und Durchmischung schafft oder im stadträumlichen Zusammenhang Konsistenz und Lesbarkeit entwickelt. Aber bei wem liegt der Gewinn privater Immobilien, die „in besten Lagen“ im Hochpreis- oder Luxussegment als „landmarks“ vermarktet werden?
Wir gehen weiter davon aus, dass der Bestand einer Stadt allein aufgrund seiner langfristigen Perspektive ihr wichtigstes Gemeingut bildet, insofern dieser Bestand, auch wenn in privater Hand, ihren öffentlichen Raum entscheidend prägt. Dessen Wert für die Bewohner ist von dem Wert für Verwerter zu unterscheiden. Das Gemeingut Stadtbestand bzw. seine Qualität sind nicht gleichmäßig verteilt: Konsistenz und Lesbarkeit sind hier als Qualitäten umso mehr zu wahren, als sie – gerade in Wien – nicht an jeder Straßenecke zu
finden sind. Welche Funktionen haben Ausnahmen und Regeln im Kontext konkreter Bestandssituationen und kann das Versprechen architektonischer „Exzellenz“ städtebauliche Fehler abgelten?
Wenn private Investoren Mehrwert aus den Qualitäten des Gemeinguts Stadtbestand abschöpfen, so hat die Stadtplanung die Aufgabe und die Mittel, diesen Interessen im öffentlichen Interesse Grenzen zu setzen. Kapitalinteressen dorthin zu lenken, wo die Entwicklung dieser Qualitäten auch private Bautätigkeit braucht, wo Stadt verdichtet werden muss; und dort zu beschränken, wo der Bestand der Stadt Vorrang hat. Ist die Stadt in der Lage und gewillt, ihre planerischen Zielsetzungen auch langfristig ernst zu nehmen und was geschieht vor Ort, wenn das Versprechen eines Investors lockt?
Bevor „vollendete Tatsachen“ geschaffen sind, stellen wir vor Ort umstrittene Bauprojekte vor, diskutieren im Rahmen von Begehungen ihre Auswirkungen auf den Stadtraum und auf bestehende Nutzungsansprüche unterschiedlicher sozialer Gruppen, halten Vorausschau auf Potentiale und Gefahren und Nachschau bei Qualitäten und Mängeln und gehen den Regeln auf den Grund, die den Erhalt und die Entwicklung dieser Qualitäten fördern und sichern können. Die Stadtdiskursvisiten werden von ortskundigen, einschlägig informierten Experten im Dialog geführt und münden in eine Diskussion mit in die Vorhaben involvierten Personen. Der genaue Treffpunkt und die Route wird jeweils vor den Veranstaltungen per Newsletter mitgeteilt.
Text: Andreas Vass