Dach und Vestibül
Über das Addieren und Entdecken von Substanz
Bauvisite 234 AUSGEBUCHTEin Blick von oben, ein Blick von unten. Zwei Perspektiven in die Bestandssubstanz in unmittelbarer Nachbarschaft in Wien-Neubau, zwei Interaktionen von Raum, Ornament und Fläche.
Beim Dachausbau in der Andreasgasse von RATAPLAN Architekten wurde die Substanz des Altbaus freigelegt und zu einem Raum ergänzt, bei dem die Vegetation dem Anorganischen gleichberechtigt ist, eine Dachhaut aus Pflanztrögen bildet zusammen mit dem Sonnenschutz eine „weiche“ und dezente Schicht als oberen Dachabschluss, die nach innen als Filter wirkt. All diese Maßnahmen leisten als „grüne Insel am Park“ einen Beitrag zur Stadtkühlung in dicht bebautem Umfeld. In Zeiten permanenter Dürresommer ein vorausschauender Ansatz der Integration von Grün und Architektur, die über reines Beranken und Kaschieren hinausgeht.
Unweit davon wurde bei der Sanierung des ehemaligen Finanzamts Seidengasse vergessene Substanz wiederentdeckt. „Ein modernes, mit allem Komfort ausgestattetes Wiener Mietshaus, dass sich auch im Äußeren durch ein alle Reize der modernen Stilrichtung zeigenden Formensprache auszeichnet“, sei hier entstanden, lobte die Wiener Bauindustrie-Zeitung im Jahr 1907 den von Hans Dworak (1870-1920) als großbürgerliches Wohn- und Geschäftshaus entworfenen Bau.
Das Atelier im Souterrain war Betriebsort der Stukkateure Jung, Russ & Co. und Showroom für ihre Kunstfertigkeit, die sich über die damals übliche Serienproduktion erhob und individuelle Wünsche umsetzte, mit Prestigebauten von Wien bis Sarajevo. Extravagantes Beispiel ist der farbige „Perserteppich“ aus Stuck an der Decke des Foyers, der auf die textile Stadtgeschichte des Brillantengrundes verweist. Während der Zeit als Finanzamt übermalt und vergessen, wurden Vestibül, Foyer und Stiegenhaus 2022 in Abstimmung mit dem Bundesdenkmalamt restauriert.
Mit RATAPLAN Architekten, Das Büro und Restauratorin Anna Boomgaarden
Moderation: Maik Novotny / ÖGFA
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