UmBau 11 | 1987
deutsch, Eigenverlag, 104 S. VERGRIFFENStadtplanung und Städtebau sind in Europa derzeit sehr widersprüchlichen Trends unterworfen. Unter dem Schlagwort der "interkommunalen Konkurrenz" um Touristenströme vollzieht sich ein Auf- und Nachrüsten großer und mittlerer Städte mit repräsentativen Einrichtungen für Kunst, Kultur und Dienstleistungen. Dieser deutlich zentralistisch orientierten Gründerzeit für Top-Museen, First-Class-Hotels und Convention-Centers läuft die dezentralistische Tendenz der neuen elektronischen Kommunikationsformen und der Vernetzung automatischer Steuerungs- und Produktionssysteme aller Art entgegen.
Die Beiträge von UMBAU 11 betreffen einige der mit dieser Entwicklung zusammenhängenden Fragen - zur künftigen Identität der Städte, zur Polarität von Zentren und Peripherien, von Altstadterhaltung und Stadterneuerung, zur Musealisierung historischer Stadtbereiche, die mit vorwiegend kommerziell argumentierten Ballungen neuer Kunst- und Kulturinstitutionen gekoppelt ist, und zur Simulation von Kontinuität, Zeit und Raum....
Die seit einigen Jahren laufenden Bemühungen um die Neustrukturierung der Österreichischen Bundesmuseen anlässlich der geplanten Adaptierung des Messepalastes zu einem großen Museums- und Ausstellungskomplex berühren nicht nur kulturpolitische, sondern auch fundamentale, stadtplanerische Aspekte.
Parallel zur Ausschreibung des Messepalast-Wettbewerbes hat die Österreichische Gesellschaft für Architektur mit dem Wissenschaftsministerium und dem Verlag für Gesellschaftskritik im April ein zweitägiges Symposium veranstaltet, um am Beispiel internationaler Entwicklungen einige prinzipielle Fragestellungen (Stadt-Kultur-Museen-Öffentlichkeit) aufzuwerfen und damit die in Wien eher auf quantitative Probleme fixierte Diskussion mit einer inhaltlichen Auseinandersetzung anzureichern:
Mit welchen gesellschaftlichen und kulturellen Herausforderungen sind Museumsgründungen am Ende des 20. Jahrhunderts konfrontiert? Welche Rolle spielen Museen heute im städtebaulichen, wirtschaftlichen und pädagogischen Gefüge einer Kommune? Wie weit sind neuere Konzeptionen für Museen (der Kunst, der Wissenschaft und Technik, des Lebensalltags in Geschichte und Gegenwart) bereits realisiert? Welche Bilanz ist aus der Fülle neuer, spektakulärer Museumsbauten zu ziehen? Haben die Museumsleute und ihre Architekten die gebotenen Chancen genützt oder sie in bloßer Selbstdarstellung vergeudet?
Zu diesen Themengruppen haben internationale Fachleute referiert; die Dokumentation dieses Symposiums bildet den Hauptteil des vorliegenden Heftes. Dass diese Fragestellungen in der inzwischen abgeschlossenen 1. Phase des Wettbewerbes keineswegs erschöpfend behandelt oder beantwortet wurden, zeigt auch die vor kurzem neuerlich aufgeflammte Debatte um das "Programm" dieser musealen "Jahrhundertchance". Die 2. Phase dieser Konkurrenz seitens des Auslobers nun als Vertiefungsarbeit auszugeben, wo endlich "Nägel mit Köpfen" gemacht werden, wird ohne die kritische Befassung mit der inhaltlichen, kulturpolitischen Konzeption dieses Unternehmens neuerlich unglaubwürdig bleiben.
Aus technischen Gründen war es leider nicht möglich, das Symposium komplett wiederzugeben. Christoph Stölzl, der ein äusserst erfrischendes, frei gesprochenes Referat hielt, konnte wegen Terminnot nachträglich keine schriftliche Fassung liefern, und eine reine Transkription der mitgeschnittenen Bänder war nicht durchführbar. Stölzl - damals Direktor des Münchner Stadtmuseums, inzwischen zum Leiter des neuen Deutschen Historischen Museums in Berlin berufen - berichtete pointenreich und eloquent von den Schwierigkeiten, die er als Direktor eines ehemaligen "Heimatmuseums" zu überwinden hatte, wenn er Jubiläen in kontroversielle Ausstellungen umpolte, wenn er Museumsarbeit nicht inszenatorisch und kulinarisch, sondern aufklärend und politisch betrieb, dabei aber bewusst die "didaktische Überpädagogisierung" von Ausstellungen vermied.
Stölzl erläuterte die Absichten und Wirkungsgeschichte seiner Münchner Arbeiten über das tabuisierte Thema "Tod" (zum Anlass des Deutschen Katholikentages), über den "Alptraum Auto" (zum hundertsten Geburtstag des Automobils), über die "Isar" ( wo es zu harten Konflikten mit Kraftwerksbetreibern, zu Klagen und Schadenersatzansprüchen kam). Als Leitbild für zeitgemäße, nonkonformistische Museumsarbeit und die Ausstellungsgestaltung zitierte er eine Forderung Walter Benjamins, wonach der Besucher "nicht gelehrter, sondern gewitzter" eine Ausstellung verlassen sollte und wonach Museen als "moralische Anstalten" nur insoweit legitimiert wären, als sie dazu beitragen, "traditionelles Denken durch historisches Bewusstsein zu ersetzen".
Nichts anderes ist zu fordern, wenn Städtebau und Architekturtheorien nach der polemischen Ausblendung geschichtlicher Bindungen und nach naiver Rückblendung in historische Metaphern endlich zu einer "Gleichzeitigkeit ohne Blindfelder" gelangen wollen: Aber das ist, wie Leopold Redl in seinem Text ausführt, keine Sache plakativer Rezepturen, sondern ein "Weg auf des Messers Schneide".
UmBau 11
Österreichische Gesellschaft für Architektur (Hrsg.)
Wien 1987
104 Seiten, mit SW-Abbildungen.