UmBau 10 | 1986
deutsch, Eigenverlag, 160 S. VERGRIFFENRunde Geburtstage gelten immer als der vordergründige Anstoss, Bilanzen zu ziehen und Standorte zu bestimmen. Josef Franks Person, Werk und Philosophie im Jahr seines hundertsten Geburtstags und anlässlich des zwanzigjährigen Bestehens der Österreichischen Gesellschaft für Architektur als Thema eines zweitägigen Symposiums zu wählen geschah in der Absicht, unsere Sicht auf eine der wichtigsten Figuren der modernen Architektur in Österreich neuerlich zu präzisieren und damit auch zur Klärung gegenwärtiger architekturtheoretischer Positionen beizutragen. Der vorliegende UmBau ist in der Hauptsache der Dokumentation dieses Symposiums gewidmet.
Josef Frank ist der schöpferische Skeptiker im Rahmen der Moderne. Man kann ihn weder als einen leicht fasslichen Programmatiker noch als einen unkritischen Pragmatiker bezeichnen. Die Stärke und Lebendigkeit seiner Anschauungen liegt in einem durch und durch paradoxen Wesen, das sich mit großer Bestimmtheit äussert - und doch kaum bündig festzulegen ist. Frank verdankt es neben anderen Umständen gerade diesen Eigenschaften, dass er, in seiner Zeit als einer der führenden Köpfe in der Architekturszene in Europa geschätzt, im Verlauf einer vergröbernden linearen Geschichtsschreibung in den Hintergrund rückte.
Diese spezifische, paradoxe Haltung innerhalb der Avantgarde der zwanziger Jahre setzt Frank aber wieder unmittelbar in unsere Gegenwart, wo die Moderne einerseits in Bausch und Bogen verworfen wird, und wo sie andererseits wieder "nachjustiert", das heißt, auf ihre weniger beachteten, weniger "verbrauchten" Entwicklungsstränge und Facetten hin reflektiert wird. Wir können mit Recht annehmen, dass die offenen Fragen in den Paradoxien der spätindustriellen europäischen Kultur und Architektur nicht durch neue Systemdenker beantwortbar sind, und dass diese Fragen im Gegenteil nur von unorthodoxen Skeptikern im Zustand der kreativen Spannung gehalten werden können.
Josef Frank ist in dieser Situation mit seinem widerspenstigen Skeptizismus, mit seinem Misstrauen gegenüber allen Zwängen und Einbahndoktrinen nun nichts weniger als ein gemütlicher Onkel oder Großvater, bei dem sich eine Generation von Nachgeborenen geistig bequem einnisten könnte. Er stand in Wien bis 1933 im Mittelpunkt der großen architektonischen Bewegungen und Auseinandersetzungen, er hat sich immer wieder scharf exponiert und wirkte gleichzeitig als Integrationsfigur in dem wie üblich intriganten und zerstrittenen Lager der heimischen Avantgarde. Die Aktivität des Österreichischen Werkbundes in den Jahren von 1928 bis 1933 und die Wiener Werkbundsiedlung als gemeinsame, die Polaritäten der Szene (Hoffmann - Loos und Holzmeister - Plischke, um nur die auffälligsten zu nennen) überbrückende Tat, wäre ohne Frank nicht möglich gewesen.
Kritikfähigkeit; Auflehnung gegen verselbständigende Systeme, auch solche der Avantgarde; eigenständige, von stilistischen Zwängen befreite Kreativität; integrative Kraft im Dienste allgemeinerer Ziele - das sind Qualitäten, die Frank im hohen Maße verkörperte, die auch in der Gegenwart, in der Kehrtwendung von der Rigidität der Moderne zur scheinbaren Liberalität der postmodernen Ego-Trips eine gültige Herausforderung darstellen.
Geschichtliches Bewusstsein ist eine Voraussetzung für den freien Blick auf die Bedingungen der Gegenwart. Das politische Wetterleuchten rund um die vergangene Bundespräsidentenwahl hat diesen Zusammenhang neuerlich deutlich gemacht.
Der Verdrängungswunsch gegenüber Geschichte, der Wunsch zur Herstellung der "tabula rasa" hat zwei verursachende Triebe:
- den revolutionären, ödipalen, umstürzlerischen
- den kalmierenden, verdrängenden, stabilisierenden, durch den eine traumatische Erfahrung zugeschüttet wird, um die unproblematische Fortsetzung eines Status Quo zu garantieren.
In beiden Fällen - Ausbruch und Auslöschung - geht es grundsätzlich um ein psychisches "Überleben".
Was hat dass mit Frank zu tun? Frank war eben weder in dem einen noch in dem anderen Sinn ein "Tabula-rasa-Denker". Er war kein naiv positivistischer "Macher", sondern ein politisch-geschichtlich sehr bewusster Mensch. So sehr sein Geschichtsbild, wie er es in "Architektur als Symbol" beispielsweise ausbreitet, im einzelnen fragwürdig sein mag, es lieferte ihm doch die Basis für den freien, distanzierten Blickwinkel auf die Phänomene seiner Gegenwart.
Unser Frank-Bild hält heute zweifellos bei einem Zustand, der dem historischen Diskurs nur skizzenhaft nahekommt.
Franks Beziehungen zum Wiener Kreis, zu Neurath, zu seinem Bruder Phillip, zu Mach, zu Loos, zur Sozialdemokratie, zu Corbusier, Häring und anderen sind nur mehr in groben Umrissen bekannt. Wenn wir die Simplifizierung seiner weiterwirkenden Botschaft - was Loos noch zu Lebzeiten widerfuhr - vermeiden wollen, dann ist eine möglichst breite, differenzierte Annäherung an diese Person und dieses Werk die Voraussetzung. In Fortführung vorangegangener Aktivitäten war das Symposium durch die Spannweite der Beiträge ein weiterer Schritt in dieser Richtung.
In die Auseinandersetzung mit dem Frankschen Oeuvre sind neben den genannten Eigenschaften einige Begriffe eingeschlossen, die "anstößig" wirken, aber wesentliche Bedeutung haben:
- Regression - verstanden als Antwort, Alternative und Aggression
- Resignation - als Bereitschaft zur Akzeptanz einer disharmonischen, unheroischen Kultur, in der Sentimentalität und Kitsch nicht peripher und geächtet, sondern sogar essentiell sind,
- Akzidentismus - als die künstlerische Sublimierung der beiden Haltungen.
Frank spricht mehrmals von dem kleine Fleckchen Erde, das uns übrig bleibt, wo sich der moderne Mensch nach dem Druck der alltäglichen, rationalisierten Arbeitswelt der Muße und Entspannung hingeben könne. Das sentimentale, unheroische Wohnen in Verbindung mit einem Stück erfrischender "Natur" im Garten ist die Therapienische in der modernen Lebensroutine. Gerade in seinen Stoffen, die vor kurzem erstmals in ihrer ganzen Vielfalt präsentiert wurden, kommt dieser Gedanke - der gemusterte Sehnsuchts-Fleck, der den "horror vacui" vertreibt - sehr rein zum Ausdruck. Diese fröhlichen Farbtumulte, diese locker balancierten Abstraktionen floraler Motive stimulieren zur heiteren, gelassenen Meditation.
Zusammen mit den Phantasiehäusern stellen die Stoffe innerhalb seines Lebenswerkes den freiesten künstlerischen Ausdruck seiner Weltsicht dar, zeigen seine gestalterische Gegenwelt zu den Perversionen der Zivilisation, die er in vielen Aspekten für die Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln hielt. Franks Aversion gegen die Gleichschaltungstendenzen der Moderne, gegen die Formen-Parade der neuen Sachlichkeit, beruhte auf dieser Einsicht. Wie beim Symposium mehrmals angemerkt wurde, ist sein Skeptizismus historisch gesehen aber mit diesem Hintergrund der radikalen Tendenzen für Vereinfachung, Rationalisierung und Versachlichung verwoben und kann nicht isoliert davon betrachtet und interpretiert werden.
Um noch einmal auf den Begriff "Regression" zurückzukommen: auch die biomorphe (später kristallin-geometrische) Stilwelt der Secession war eine Regression, ein Zurücksehnen in eine vorbewußte, vorkulturelle Natürlichkeit des Lebens, eine Beschwörung der allumfassenden organischen (oder anorganischen) Kraft, Harmonie und Unschuld als Reaktion auf die hereinbrechende Übermacht der industriell sich entfremdenden, sozial-katastrophischen Weltperspektive am Beginn des 20. Jahrhunderts. Diese Projektion paradiesischer Natur kommt auch bei Frank immer stärker zum Vorschein - ob im Stoffentwurf, im Aquarell oder im spielerischen Bauprojekt.
Man hat in Zusammenhang mit seiner Auffassung vom "Haus als Weg und Platz" von der raum-zeitlichen Auffassung Franks gesprochen und Bezüge zum physikalischen Weltbild von Einstein und Phillip Frank angedeutet. Es ist andererseits aber auch unübersehbar, dass sich die Frankschen Raum-Grundrissschemata am Ende immer mehr aus dem rationalen Raster befreien und in biomorphe, organhafte, uterusartige Figurationen krümmen, dass seine Wohnräume und Himmelbetten weiche, gemütliche, farbige, gepolstert-helle Höhlen sind. Regression ist hier also angesprochen als ein physikalisches Einrollen und zugleich ein emotionelles Freiwerden, ein Entfernen aus der verkürzten Rationalität aller Purismen und aller herrschsüchtigen Doktrinen.
Franks Funktionalismuskritik, formuliert inmitten der fruchtbaren Phase der Moderne, entwickelte simultan die positiven Grundlinien und Perspektiven zur Überwindung der von ihm analysierten Schwächen des Neuen Bauens. Es ist klar, dass seine unorthodoxe Sicht vom Hauptstrom der Moderne nicht angenommen werden konnte, und es ist ebenso klar, dass seine Liberalität auch der Postmoderne leicht zum kurzweiligen Missverständnis gerät. Umso wichtiger bleibt der Anspruch und das Leitbild, dass sein Bemühen um eine unpathetische, zeitgenössische Architektur für jene darstellt, die an diese Frage vorurteilsfrei und ohne Lagermentalität herangehen können.
UmBau 10
Österreichische Gesellschaft für Architektur (Hrsg.)
Wien 1986
160 Seiten mit SW-Abbildungen.