Paradigmenwechsel
Wilfried Wang, Berlin
VortragNicht nur in der Alltagspolitik, auch in vielen Fachkreisen der Bauwirtschaft herrscht der Glaube vor, dass angesichts der ökologischen Herausforderung an die Welt der westliche Lebensstandard durch intelligente Technologie nicht nur erhalten, sondern sogar auch noch gesteigert werden kann (E. U. von Weizsäcker et al., Faktor 4, 1997). Ganzheitliche Betrachtungen, also Lebenszyklusanalysen, legen allerdings die Herstellungsenergie neuester Prozesse und Materialien bloß. Klar ist, dass ein fundamentaler Paradigmenwechsel notwendig ist, der auf die Veränderung der Gewohnheiten zielt, anstatt die ressourcenintensive Technologie zu bemühen. Diese Gewohnheiten umfassen nicht nur das westliche Verständnis von Komfort einschließlich der geläufigen Selbstverständlichkeit, mit der die Menschheit die Ressource Umwelt konsumiert, sondern fordern spezifisch auch Veränderungen im Selbstverständnis des Berufsstands der ArchitektInnen, welche beruflichen Ziele erstrebenswert sind (der Bau einer Villa im Grünen, die Jagd nach dem höchsten Hochhaus, die Erfindung des neuesten Stils, etc.).
Gewohnheiten haben es an sich, dass sie über lange Zeit angeeignet wurden, was eine der wesentlichen Hürden zur Überwindung derselben darstellt. Zusammen mit der Verbreitung einer Gewohnheit, die dann zum Teil einer Kultur wird, bildet sich der kulturelle Fußabdruck. Dieser Fußabdruck muss gleichzeitig mit dem technischen, dem ökologischen Fußabdruck analysiert werden, bevor sinnvolle Alternativen in Erwägung gezogen werden können. Auch deshalb ist die Fixierung auf die Technologie als sicherer Retter ein Fehler. Gewohnheiten, wie zum Beispiel das Zigarettenrauchen, das Trinken zuckerreicher Getränke oder das Bestaunen von Formel-1-Rennen, sind nun mal die letzten Handlungsformen, die der Mensch freiwillig aufgibt. Viel Zeit bleibt nicht mehr, um den Paradigmenwechsel radikal und konsequent zu durchdenken, geschweige denn überhaupt einzuleiten. Aber vor dem allmählichen und unaufhaltbaren Niedergang der Menschheit werden wir mindestens über die Notwendigkeit zur Änderung gesprochen haben.
Der Realität angepasst werden muss das Aufgabenfeld der ArchitektInnen: weg vom Ideal des Neubaus auf der grünen Wiese, hin zum Umbau. Die Architekturgeschichtsschreibung muss sich ebenfalls der Realität nähern: die meisten Bauten sind umgebaut worden, siehe Flughäfen, Kirchen, Krankenhäuser, Museen, einfache Häuser. Ihre Geschichte harrt noch der Beschreibung. Nehmen wir die Lebenszyklusanalyse ernst, müssen wir bei der Herstellungsenergie von Bauten Einsparungen vornehmen; das heißt mehr rezyklierte, eher regionale Materialien anwenden. Nehmen wir das Prinzip der Nachhaltigkeit ernst, muss jedes Bauvorhaben auf seine angemessene Qualität geprüft werden: lieber mehrfach prüfen und überarbeiten als einmal schlecht bauen; denn je eher ein Gebäude auch von außenstehenden Menschen geschätzt wird, desto eher wird es auch gepflegt und daher erhalten. Es gibt eine Menge Arbeit für ArchitektInnen. Sie wird aber in Zukunft vielfältiger, heterogener und alles andere als mit einfachen geometrischen Formornamenten zu bewerkstelligen sein.
Wilfried Wang
führt seit 2001 mit Barbara Hoidn das Architekturbüro Hoidn Wang Partner in Berlin; seit 2002 O’Neil Ford Centennial Professor in Architecture an der University of Texas at Austin. Geboren in Hamburg; Studium der Architektur in London; Gründungsherausgeber der Zeitschrift 9H Magazine 1979, Ko-Direktor der 9H Gallery in London von 1985-90; Direktor des Deutschen Architektur-Museums von 1995-2000. Autor und Herausgeber verschiedener Mono- und Topographien zur Architektur des 20. Jahrhunderts. Vorstandsvorsitzender der Erich-Schelling Architekturstiftung; Vorsitzender des Weltkulturerbebeirats der Hansestadt Wismar; Mitglied des Gestaltungsbeirats des Flughafens München; a.o. Mitglied des BDA; Auslandsmitglied der Königlichen Akademie der Bildenden Künste in Stockholm.