Symposium | Bestand der Moderne
Kontinuität und Herausforderung
Mit einem internationalen Symposium widmet sich die ÖGFA im Rahmen des Schwerpunktprogramms Status Quo Vadis – Die Zukunft der Architektur als Prognose und Programm, Teil II: Neue Aufgaben in der Planungspraxis der Auseinandersetzung mit dem Baubestand der Moderne.
Das Thema „Bauen im Bestand“, mittlerweile anerkannter Weise eine Aufgabe, die in ihrer Bedeutung weiter zunehmen wird, stellt sich als unumgängliche Notwendigkeit dar – auch vor dem Hintergrund der sich abzeichnenden Ressourcenknappheit und demographischer Verschiebungen. Dennoch beschränken sich Realisierungen im Bestand nach wie vor meist auf ökonomische und ästhetische Verwertung, ohne die Potentiale zu erfassen, die der Paradigmenwechsel vom Neubau zum Umbau für unser grundlegendes Verständnis von Architektur implizieren sollte. Bauten aus dem 19. Jahrhundert oder früherer Epochen, in ihrer breiten Akzeptanz und relativen technologischen „Gutmütigkeit“, scheinen zu dieser Verwertung geradezu einzuladen. Die Begriffsraster des Denkmalschutzes sind hier ebenso entwickelt und anerkannt wie die Methoden der Inszenierung und die Technologien der baulichen Veränderung.
Der Bestand der Moderne setzt derlei ahistorischem, weitgehend auf das Gegensatzpaar alt/neu reduzierbarem Denken allerdings Grenzen oder zumindest schwer aufzulösende Widersprüche entgegen. Wichtige Spannungsfelder ergeben sich zum Beispiel zwischen technologischer Innovation und formaler Dauerhaftigkeit, programmierter Kurzlebigkeit und materiellem oder kulturellem Wert, geforderter Veränderbarkeit und ganzheitlichem Anspruch, experimenteller Bautechnik und beschleunigter Standardanhebung, typologischem Experiment und räumlich-plastischer Unverwechselbarkeit, individueller Autorenschaft und interdisziplinären, auf Spezialwissenschaften aufbauenden Planungsmethoden, Aura und Massenproduktion oder Authentizität und Flexibilität, wobei diese Phänomene jeweils auf komplexe Weise ineinander greifen können.
So sehr diese Fragen für die Moderne des 20. Jahrhunderts spezifisch sind, könnten sie doch auch die Aufmerksamkeit für zu kurz greifende Vereinfachungen im Umgang mit dem Baubestand im Allgemeinen und mit dem architektonischen Erbe schärfen. Insbesondere scheinen sie auf die Unerlässlichkeit zu verweisen, die materielle Präsenz und Gebrechlichkeit der Bausubstanz in ihrer Bedingtheit durch, bzw. möglichen Rückschlüssen auf die ideologischen, künstlerischen und technologischen Verfahren ihrer Herstellung zu verstehen: Die Verflechtung von materiellem und immateriellem Erbe auf dem Gebiet der Architektur wird durch deren jeweils unterschiedliche „Lebenszyklen“ zu der zentralen Frage einer Architektur des Bestands. An der Moderne des 20. Jahrhunderts wird diese als ungelöstes Problem offensichtlich.
Das ÖGFA-Symposium thematisiert diese Frage aus unterschiedlichen Blickwinkeln:
Die Schindler Lecture #10 am 27.11. mit Flora Ruchat Roncati und Sandra Giraudi streift mit einem „Dialog der Generationen“ die Möglichkeiten und inneren Widersprüche einer als Tradition verstandenen Moderne. Ist die Moderne als geistiges Erbe vermittelbar, ist sie in der Lage, sich von Generation zu Generation zu erneuern, oder besteht sie gerade in der Verwerfung des von den jeweils Älteren entwickelten geistigen und materiellen Bestands? Gibt es ein „Weiterbauen“ oder herrschen andere Gesetze? Kann eine Generation aufstrebender Architekturbüros heute den Dialog mit den Leistungen ihrer LehrerInnen als intellektuelle Herausforderung begreifen, oder kommen diese Bestände (und ihre Probleme) bestenfalls als Nothelfer in der Krise in Betracht?
Am Samstag, 28.11. beginnt Maria Welzig mit einem exemplarischen Blick auf das kulturelle Gewicht des Erbes der Wiener Moderne des 20. Jahrhunderts, ihrer Achtung und Beachtung, gefolgt von zwei Analysen grundsätzlicher Problemfelder im Umgang mit dem Bestand der Moderne: Gaetano Licata geht in Bezug auf Bauten der Nachkriegsmoderne von einer prinzipiellen Disposition zur Veränderbarkeit aus und untersucht die Grundlagen dieser Disposition in der Theorie der Moderne, ebenso wie Kriterien, Strategien und Problematiken, die sich in der Praxis verändernder Eingriffe in diese Bestände ergeben. Die den Bauten – und mehr noch den dahinter stehenden Theorien – inhärente Betonung von Neuheit und Veränderung wird als Chance begriffen, die bewusst verändernden Umgang als Garant der Erhaltung auffasst, wobei ausgehend von der Alltagsmoderne auch Meisterwerke der Moderne in Betracht kommen. Bruno Reichlin setzt sich in seinem Vortrag mit der Aufgabe der vom konkreten Bauwerk ausgehenden Forschung auseinander, die insofern als Projekt verstanden und betrieben werden will, als sie die Analyse der Entstehungsweisen und Herstellungstechniken des Artefakts selbst und seines architekturgeschichtlichen Kontexts bis zu dem Punkt vorantreibt, wo sich neue Interpretationen und Bewertungen eröffnen, die unmittelbare Auswirkungen auf den aktuellen Umgang mit dem Gebäude haben sollten, auch (und gerade) wenn es sich nicht um ein von vorneherein als Meisterwerk der Moderne anerkanntes Beispiel handelt. Die Kategorisierungen der Denkmalpflege werden dadurch im Licht der Moderne neu abgesteckt.
Eine Reihe von Kurzvorträgen breitet am Samstag Nachmittag anhand von Fallbeispielen aus Italien, Deutschland und der Schweiz ein Spektrum von vorbildlichen Arbeiten am Bestand der Moderne aus, das von der extremen Minimierung des Eingriffs bis zum kompletten Abriss mit anschließendem adaptiertem Nachbau, von der radikalen Uminterpretation bis zum originalgetreuen Rückbau reicht. Die Verflechtungen zwischen Materialität und Konzeption, aber auch zwischen funktionalen und sozialen Programmen, räumlich-materiellen Qualitäten und architekturgeschichtlicher Bedeutung sowie öffentlicher Wahrnehmung und Wertschätzung werden dabei am konkreten Objekt und an den Strategien und Maßnahmen seiner Erhaltung, Restaurierung oder Veränderung nachvollziehbar. Der Verwaltungsbau Eternit in Niederurnen, die Cité du Lignon, die Grundschule Rolandstraße und die Studentenwohnungen im Olympischen Dorf in München bezeichnen unterschiedliche Intensitäten des Eingriffs. Die Stazione Rogers in Triest, das Hallenstadion Zürich und die ADGB-Bundesschule in Bernau stehen als Beispiele für unterschiedliche Zielrichtungen und Zielsetzungen der Veränderung.
Seinen Abschluss findet das Symposium in einer Podiumsdiskussion, welche die Thematik mit den politischen Rahmenbedingungen verbindet, denen sich die Aufgabe einer intelligenten Arbeit am Bestand der Moderne in Wien derzeit stellen muss. Damit soll die dramatische Achtlosigkeit im Umgang selbst mit herausragenden Meisterwerken der Wiener Moderne, die sich in den letzten Jahren eingeschlichen hat, ebenso aufgezeigt werden, wie das virulente und bis jetzt vernachlässigte Problem der großen Masse der in die Jahre gekommenen Bauten der Wiederaufbau- und der Boomjahre. Die Voraussetzungen für eine Trendwende werden zu diskutieren sein.
Kuratierung:
Elise Feiersinger, Andreas Vass, Susanne Veit