Architekturmaschinen und wissenschaftliches Entwerfen zwischen Technik-Utopien und "do-it-yourselfism"
Gernot Weckherlin, D
VortragDie Entwicklungsgeschichte des Computers als Entwurfswerkzeug ist inzwischen ein halbes Jahrhundert alt. Die digitale Revolution scheint zunächst als reale Produktionspraxis in der Architektur der sechziger Jahre wegen der Sperrigkeit und Defizite ihrer Technologie in ihrer Frühphase kaum angekommen zu sein. So erforderte die Herstellung einfachster Zeichnungen einen heute kaum mehr vorstellbaren Aufwand. Doch ein genauerer Blick auf den Anfang jener „Architekturmaschinen“, die am MIT in Boston von Nicholas Negroponte und anderen konzipiert und erprobt wurden, zeigt ein bemerkenswertes Phänomen: Ihre Ziele waren nicht so sehr die Beschleunigung und Rationalisierung der mechanischen Architektenarbeit oder die Erzeugung neuartiger Bauformen, sondern meist weitaus umfassender die Verbesserung der Mensch-Maschine-Kommunikation mit der Absicht, die menschliche Umwelt durch die, wie man damals dachte, unmittelbar bevorstehende künstliche Intelligenz zu verbessern. Zeitgleich und nicht ganz unabhängig von diesen Heilserwartungen proklamierte Jürgen Joedicke in Stuttgart, dass Architekturtheorie eine „angewandte Wissenschaft“ zu werden habe und sich somit der Diskussion einer Verwissenschaftlichung des Entwerfens mit dem Ziel der Verbesserung der gebauten Umwelt zuwenden müsse, da die eingefahrenen Wege der Moderne keine adäquaten Mittel mehr entwickeln könnten.
Was man im Rückblick auf die Entwicklungen beobachten kann, die jene digitalen Werkzeuge und die mit ihnen verknüpften wissenschaftlichen Entwurfsmethoden ausgelöst haben, ist zweierlei: Einerseits eine beständige Tendenz zur „Verwissenschaftlichung“ des Entwerfens, die als Fortschreibung einer modernen Tradition der Unterwerfung einer nur auf den ersten Blick autonomen Entscheidung unter meist externe rationale Zwänge verstanden werden kann. Andererseits ein erst mit der vollständigen Digitalisierung der Architekturproduktion in den neunziger Jahren zu beobachtender Prozess, der die einst von der „Architecture Machine Group“ aufgeworfenen Fragen von breiterer Teilhabe am Gestaltungsprozess, Schnittstellen, Partizipation und Kooperation neu stellt. Allerdings stehen hier nicht mehr technische Probleme im Vordergrund, sondern die Chancen und Risiken einer neuen digitalen, ja handwerklichen Praxis ohne singuläre Autoren, die von dem gekennzeichnet ist, was Mario Carpo als „Kontrollverlust über das Endprodukt“ bezeichnete, das sich in zahllosen, mutierenden Versionen jeglicher visuellen Stabilität entzieht.
Gernot Weckherlin
Architekt und Autor, Zimmermannslehre, Architekturstudium in München, London und Briey en Forêt.
Zahlreiche Lehraufträge u.a. 1995 Lehrauftrag TU Dresden, Assistenz Bauhaus-Universität Weimar 1996 – 2000. Veröffentlichungen u.a. in den Zeitschriften Bauwelt, Deutsches Architektenblatt, Baumeister. Thesis – Wissenschaftliche Zeitschrift der Bauhaus-Universität Weimar, Graz Architecture Magazine, darunter „Die Architekturmaschine oder:Architekturtheorie, eine angewandte Wissenschaft?“, in: GAM 02, Wien, 2005, sowie: „Quelle est la règle qui ordonne, qui lie toutes choses?“, in: Aesthetics and Architectural Composition. Proceedings of the Dresden International Symposium of Architecture 2004, „Die Angst des Architekten vor dem leeren Blatt: Architekturhandbücher als Medien im künstlerischen Prozess, in: Imaginäre Architekturen. Raum und Stadt als Vorstellung, Berlin, 2006; „Ernst Neufert’s Architects’ Data: Anxiety, Creativity and Authorial Abdication“, in: Anstey, Tim, Grillner, Katja, Hughes, Rolf (Hg.): Architecture and Authorship, London, 2007. Abschluss eines Forschungsprojektes unter dem Titel: „Ernst Neuferts Handbücher: Zur Systematisierung des architektonischen Wissens“ (8/2009)