Wien dezentralisieren – Urbanität abseits der Zentren
Christa Kamleithner, D/AUT
VortragFür die moderne Stadtplanung war die „Stadt“ in einem spezifischen Sinn kein Thema mehr – ganz im Gegenteil sollte der Gegensatz zwischen Stadt und Land überwunden werden. Ziel planerischer Sehnsucht war die „Stadtlandschaft“, die die Qualitäten sowohl von Stadt als auch von Land(schaft) vereinen sollte. Spätestens in den 1970er Jahren tauchte aber Unzufriedenheit mit dem Ergebnis dieser Vorstellungen auf. Das Interesse an der historischen Stadt und alten Stadtformen erwachte. Diese Position gibt es heute nach wie vor im Architektur- und Städtebaudiskurs. Dennoch wird immer klarer, dass eine Fokussierung auf die „alte Stadt“ an den tatsächlichen baulichen Entwicklungen vorbeigeht. Eine Grenzziehung zwischen Stadt und Landschaft ist in vielen Regionen kaum mehr möglich. Es ist daher wieder von Stadtlandschaft die Rede.
Dadurch wird die Kritik an den modernen Konzepten aber nicht aufgehoben, für viele Planer und Planerinnen ist „Urbanität“ ein ungebrochenes Planungsziel – von dem allerdings nicht ganz klar ist, wie es auf die neuen Stadtlandschaften anzuwenden wäre. Die verbreiteten Vorstellungen von „Stadt“ und „Urbanität“ sind durchwegs an ganz bestimmten Ausschnitten von Stadt orientiert: dichte Bebauung, zentrale Funktionen und belebte Straßen dominieren dieses Bild. Ein solches Stadtbild ist ausgesprochen reduziert, der Begriff „Stadt“ wird auf sehr spezifische Räume und Tätigkeiten eingeschränkt. Die historische Stadt war aber nie nur Zentrum, sondern beinhaltete Wohnraum, Produktion und auch Grünraum, in veränderlichen Anteilen. Es ginge also darum, neue Bilder zu entwickeln.
Der Vortrag wird zunächst verschiedenen historischen Ausformungen von „Stadt“ und „Urbanität“ nachspüren und die Frage stellen, ob hier Bilder zur Verfügung stehen, die die Sicht auf diese Begriffe erweitern können. Dann sollen verschiedene neue Ansätze vorgestellt und diskutiert werden, die neue Interpretationen von „Stadt“ anbieten. Diese Ansätze sind weniger in der Architektur als in der Landschaftsplanung und im Feld stadtraumbezogener Kunst zu finden.
Was hat dies alles mit Wien zu tun? Wien ist immer noch eine vergleichsweise kompakte Stadt, die Gebiete an den Rändern entsprechen jedoch durchwegs „zwischenstädtischen“ Raummustern. Die mangelnde Qualität dieser Räume ist unter anderem auch das Produkt einer weitgehenden und noch im Steigen begriffenen Konzentration auf die Kernstadt, deren „Urbanität“ mit baulicher Nachverdichtung und einer intensiven Bespielung der öffentlichen Räume ausgebaut wird. Demgegenüber wird der Vortrag für eine Dezentralisierung von Wien und eine andere, gleichmäßigere Verteilung öffentlicher Aufmerksamkeit plädieren – dies, so die These, käme nicht nur den Gebieten am Rand, sondern auch dem Zentrum zu Gute.
Christa Kamleithner
Studium der Architektur und der Philosophie in Wien; 2000–2004 Autorin und Redakteurin bei dérive – Zeitschrift für Stadtforschung; seit 2001 Vorstandsmitglied der ÖGFA; 2003 Mitarbeit am EU-Forschungsprojekt „Urban Catalyst“; 2004–05 wissenschaftliche Projektmitarbeiterin an der TU Graz, Mitarbeit im Ladenburger Kolleg zur Zwischenstadt; seit 2006 wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität der Künste Berlin, Fachbereich Kunst- und Kulturgeschichte im Studiengang Architektur; seit 2007 Lehrbeauftragte am Center for Metropolitan Studies der TU Berlin.
Publikation: Susanne Hauser, Christa Kamleithner: Ästhetik der Agglomeration, Zwischenstadt Band 8, Wuppertal 2006