Verkehr und Raumentwicklung. Eine verkehrswissenschaftliche Analyse
Günter Emberger, AUT
VortragDer enge Zusammenhang zwischen Verkehr und Raumentwicklung wurde von den wissenschaftlichen Disziplinen Verkehrsplanung und Raumplanung über lange Zeit nicht beachtet und führte so zu einer Vielzahl ungewünschter und ungeplanter (Fehl-)Entwicklungen. Um zu einer sinnvollen Lösung des Verkehrsproblems zu gelangen, ist es als erstes notwendig, die Ziele eines verwobenen Stadt-Umlandsystems festzulegen. Diese Ziele sind nicht aus der Disziplin der Verkehrsplanung ableitbar, sondern müssen auf der Ebene der Gesellschaft abgeleitet werden. Damit vermeidet man symptomorientierte Ziele wie beispielsweise Stauvermeidung. Eine richtige, systemadäquate Zieldefinition ist zum Beispiel das Ziel, das Zusammenleben von Menschen in Städten und dem Umland menschen- und umweltgerecht zu ermöglichen. Auf dieser Basis ist es ein leichtes, Maßnahmen auf ihre Zielerreichungsqualität hin zu untersuchen und zu bewerten. Dabei wird augenscheinlich, dass ein Großteil der derzeitig angepriesenen und implementierten Maßnahmen im Bereich Verkehrsplanung, aber auch im Bereich Siedlungsentwicklung konträre Wirkungen zur Zielvorgabe hervorrufen. Beispiele dafür sind der Ausbau der Straßeninfrastruktur rund um Wien und in NÖ, die Einführung von Telematiklösungen zur Kapazitätssteigerung im motorisierten Individualverkehr, aber auch existierende rechtliche Rahmenbedingungen wie Pendlerpauschale, Wohnbauförderung (auch für Garagen) oder die Widmung von Gewerbegebieten ohne ÖV-Anschluss, etc.
Wie soll man sich diesen tradierten und ideologisch gegründeten „Lösungsvorschlägen“ nähern und sie so adaptieren, dass sie zielorientiert wirken? Um sich dieser Fragestellung annähern zu können, müssen die Begriffe Verkehr und Mobilität definiert werden. Im landläufigen Sinne werden die Begriffe Verkehr und Mobilität synonym verwendet, in der Wissenschaft versteht man unter Verkehr fast immer nur den motorisierten Individualverkehr, unter Mobilität aber jedwede Ortsveränderung zum Zwecke einer Bedürfnisbefriedigung. Der Begriff Verkehrsplanung ist daher zu eng gefasst – Verkehrsplanung müsste Mobilitätsplanung heißen. In der tradierten Verkehrsplanung existieren eine Reihe von Mythen, die auf subjektiver Wahrnehmung basieren und leicht zu „falschen“ Schlüssen verleiten. Von der Verkehrswissenschaft zu unumstößlichen Prämissen erhoben, prägten sie die verkehrswissenschaftlichen Lehrmeinungen und die davon abgeleiteten Maßnahmen zur Lösung des Verkehrsproblems. Eine kritische wissenschaftliche Hinterfragung dieser Prämissen ist heutzutage kaum mehr möglich, da sie das Fundament für die vergangene und gegenwärtige Verkehrspolitik bilden und ein Anzweifeln dieser zu einer neuen Bewertung der verkehrspolitischen Maßnahmen führen würde, was von den Nutznießern des gegenwärtigen Systems aufs Heftigste bekämpft wird.
Die oben angesprochene kritische Analyse wurde in den vergangenen Jahrzehnten am Institut für Verkehrsplanung und Verkehrstechnik der TU Wien konsequent durchgeführt und setzt sich immer mehr und mehr als Paradigmenwechsel in der Verkehrswissenschaft durch. Diese neue interdisziplinäre Lehrmeinung ist in der Lage, die heute zwischen Umland und Stadt auftretenden Probleme zu erklären und Lösungswege aus der Sackgasse der Automobilität aufzeigen.
Günter Emberger
Professor am Institut für Verkehrsplanung und Verkehrstechnik, Fakultät für Bauingenieurwesen der Technischen Universität Wien; seit 1990 in der Verkehrsplanung tätig. Projektleiter/Mitarbeiter bei über 30 nationalen und internationalen Forschungsprojekten zum Thema nachhaltige Mobilität, über 60 wissenschaftliche Publikationen. Weitere Forschungsaktivitäten im Bereich Umweltmonitoring (verkehrsinduzierte Luftschadstoffmessungen), Verkehrsnachfragemodellierung und Verkehrserhebungen/Befragungen, Forschung im Bereich Güterverkehr (Habilitation) und Entwicklung von dynamischen kombinierten Flächennutzungs- und Verkehrsmodellen auf regionalem, nationalem und internationalem Abstraktionsniveau.
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