Netzstadt – Unausweichlichkeiten und Gestaltbarkeiten des urbanen Raums
Mark Michaeli, CH
VortragZu Beginn des 21. Jahrhunderts umspannt ein globales Netz urbaner Räume, eine „Netzstadt“ im eigentlichen Sinne, unseren Planeten. Wo diese Räume nicht bereits in ihrer morphologischen Ausprägung miteinander verschmolzen sind, wurden die urbanen Systeme zumindest im physiologischen Aufbau längst Teil einer zusammenhängenden und weltumspannenden, aus Knoten, Verbindungen und Hinterländern gebildeten Struktur. Als Erzeuger dieses Geflechtes kann die rege Nachfrage nach Austausch von Personen, Gütern und Informationen auf multiplen Skalen identifiziert werden. Grundbedingung, um diese Aufgaben übernehmen zu können, ist der strukturelle Zusammenhalt des Raumes, welcher sich in Charakteristiken wie Zugänglichkeit, Verbindlichkeit oder Nähe bewerten lässt. Kohärenz ist demnach, komplementär zu einer formal-geometrischen Eigenschaft des Raumes, auch eine topologisch-strukturelle Konzeption der funktionalen, physiologischen Raumzusammenhänge.
Der Begriff urbaner Raum erfährt in der „Netzstadt“ eine Bedeutungsaufweitung von der reinen Beschreibung des Ortes und seiner Nachbarschaften zu einem umfassenderen Verständnis von Raum als operativem Umfeld eines urbanen Projektes: Raum wird verstanden als Komplex regulierender Rahmenbedingungen im Sinne von Normen und Regeln, sozioökonomischen genauso wie technischen oder politischen Faktoren. Gleichzeitig integriert der Begriff im weitesten Sinne von Infrastrukturen auch die Entscheidungs- und Gestaltungsmöglichkeiten, -freiheiten und -fähigkeiten, sowie -verpflichtungen durch operierende Stakeholder.
Die „Netzstadt“ verschmilzt die tradierten Konzepte von Stadt und Landschaft zu dem einer einzigen urbanisierten Kulturlandschaft und stellt damit eine durch die zeitgenössische Entwicklung der Agglomerationen notwendig gewordene Anreicherung des Stadtbegriffes dar, der uns nötigt, zunächst unbekanntes – und uneindeutiges – Terrain zu betreten. Letztlich liegt in dieser modellhaften Konzeption die Aufforderung, Kompetenzen und Autoritäten der planenden Disziplinen und Institutionen in solcher Art zu befragen, dass neben die vielen Einzelentscheide und Teilzuständigkeiten ein Interesse am größeren und komplexen Gefüge „Stadt“ tritt, welches uns befähigt, den komplexen Raum aktiv und qualitätsorientiert mitzugestalten.
Die neue Urbanität dieser „Netzstadt“ mag sich von traditionellen Vorstellungen zur Stadt unterscheiden, sie ist jedoch eine Realität, die nach einer aktiven Auseinandersetzung durch die Städtebauer im Sinne einer Qualifizierung verlangt – sie ist ein Entwurfsproblem!
Mark Michaeli
geboren 1972 in Aachen, studierte an der ETH Zürich, Architekt, Dozent für Städtebau. Lehrtätigkeit im Bereich Architektur und Städtebau am Netzwerk Stadt und Landschaft, Departement Architektur, ETH Zürich, sowie als Gast am Berlage Institute, Rotterdam, Universität St.Gallen und Technische Universität Tampere. Forschung zum Schwerpunkt Stadtstrukturen zeitgenössischer urbaner Agglomerationen und zur Topologie urbaner Systeme, zu Modellbildung und Methodik im Städtebau, sowie zu Instrumentarien für die Praxis. Daneben seit 1995 praktische Tätigkeit als Architekt in Deutschland, den Niederlanden und der Schweiz.
Publikation: Netzstadt. Einführung in das Stadtentwerfen, zusammen mit Franz Oswald, Peter Baccini, Basel 2003.