Anna Lülja Praun
1906-2004
Rede zur Verabschiedung von Anna Lülja Praun 15.10.2004
Anna Lülja Praun ist gestorben und mit ihr eine außergewöhnliche Persönlichkeit.
Aber was war es, das sie als Architektin so außergewöhnlich machte?
Sie führte – de facto verkörperte selbst – ein Kleinstbüro, dessen Auftragsdichte und Umsatzzahlen sicher nicht als außergewöhnlich zu bezeichnen waren und so manchen Architekten-Kollegen wohl zu einem mitleidigen Lächeln animiert hätte. Gleichzeitig wurde sie mit so speziellen Bauaufgaben betraut, die keiner der etablierten Kollegen in seinem Werk auflisten kann: ein Komponierpult, die Einrichtung einer Yacht, eine freistehende Schmuckbox oder ein Vitrinentisch für eine Steinsammlung.
Für jedes dieser Stücke – Einzelstücke, die allenfalls von Interessenten nachbestellt wurden – nahm sie sich viel Zeit, Zeit für die Maßfertigung.
Was heißt das?
Das heißt, dass sie nicht nur Naturmaß in einem Raum nahm um diesen mit angemessenem Mobiliar zu bestücken, sondern sie nahm auch oder vorwiegend Maß an dem Menschen, dem dieses Möbel dienen sollte. Es war ihr nicht wichtig ein modisch schickes, anonymes Objekt oder Ambiente zu schaffen, das durch eine baldige Publikation viele Käufer findet. Sie konzentrierte sich vielmehr auf die jeweilige Bauaufgabe, die ganz speziell dem Nutzer, der Nutzerin angemessen gelöst werden sollte. Sie schaffte es durch diesen kooperativen Ansatz des „Sich aufeinander Einlassens“ einen funktionalen und geschmackvoll geprägten Umraum für die Bewohner zu gestalten, wo diese ihre individuellen Stilvorstellungen entfalten konnten.
Dies machte ihren Ruf aus, dies war und bleibt die Praunsche Raumkunst.
Und wie konnte sie diese entwickeln, wo liegen die Wurzeln einer wie gesagt außergewöhnlichen Karriere als Architektin, für die es in ihrer Generation ja kaum Vorbilder gab?
Wesentlich war zweifellos die Prägung in einem aufgeschlossenen, multikulturellen Elternhaus. Hier wurden verschiedene Kulturen und Sprachen integriert, was eine selbstverständliche Sensibilisierung für unterschiedliche Einflüsse mit sich brachte. Alleine die Entscheidung, sie von Sofia aus ins ferne Graz studieren gehen zu lassen, zeigt die weltoffene Haltung gegenüber der Tochter – im Jahre 1920. Auch wenn sie selbst, das nie speziell thematisiert haben wollte, aber es gehörte schon viel Mut und Selbstbewusstein dazu, als einzige Frau an der Technischen Universität zu reüssieren. Graz war zu dieser Zeit ein Ort der Moderne, einer regen künstlerischen Auseinandersetzung, von der sie sicherlich stark profitierte. Unweigerlich geriet sie in den avangardistischen Sog – auch politisch, was ihr gar nicht recht war. Ihr damaliger Lebensgefährte, mit dem sie auch zusammengearbeitet hatte, der Architekt Herbert Eichholzer musste dies später mit seinem Leben bezahlen.
Prägend war aber auch die Zeit in und nach dem Krieg, als sie ihre Kreativität dazu einsetzen musste, ihre Familie mit dem Notwendigsten zum Überleben zu versorgen. Dieses Wissen um die eigene Lösungskompetenz hat ihr wohl auch die Kraft gegeben nach der Scheidung von ihrem Mann Richard Praun eine selbständige Berufskarriere einzuschlagen. Ab dann begann sie auf den Spuren der Architekten Oskar Strnad oder Josef Frank zu ihrer Interpretation des Wiener Möbel und zu ihrem eigenständigen architektonischen Stil zu finden.
Auch hier: Es war außergewöhnlich als Frau Anfang der fünfziger Jahre diesen Weg zu gehen. Und es war wohl Ausdruck ihrer Kämpfernatur und sozialen Kompetenz kultivierte Bauherrn zu erreichen und für diese gemeinsam mit kongenialen Handwerkern spezielle Werke zu schaffen. So kompromisslos sie in dieser Interaktion war, so extravagant waren die Objekte und Projekte, die daraus hervorgegangen sind. Legendär ist ihre Streitlust, wenn es darum ging, Bauherrn von der ihrer Meinung nach richtigen gestalterischen Lösung zu überzeugen.
Das Endprodukt gab ihr meistens recht.
Es gibt nur mehr wenige Architekten, die mit solchem Einsatz die Gestaltung von Maßmöbeln betreiben und es ist zu befürchten, dass mit Lülja Prauns Ableben auch eine Stück Tradition an Wiener Handwerkskunst zu Ende geht.
Anna Lülja Praun hat durch ihre Arbeit nicht Reichtum erworben, sondern Reichtum – kulturellen Reichtum - geschaffen, was letztendlich den wahren Wert aller Kreativarbeit darstellt. Einer ihrer gestalterischen Grundsätze war: „Die Gültigkeit der Form muss solange währen, wie das Material hält“. Wohlwissentlich hat sie nur edle Materialien zum Einsatz gebracht. Und sie hat zu formalen Lösungen gefunden, die – weil nie formalistisch – noch lange Gültigkeit haben werden.
A propos extravagant: Dies ist die noblere Beschreibung für außergewöhnlich mit allen Ecken und Kanten, die dem Begriff konnotiert sind.
Anna Lülja Praun war eine extravagante Architektin, der erst im Alter von 80 Jahren erstmals öffentliche Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Anna Lülja Praun war – ob sie wollte oder nicht - auch ein unschätzbares Vorbild für alle nachfolgenden Generationen an Frauen, die den schönen aber auch mühsamen Beruf der Architektin gewählt haben.
Und sie hat uns gelehrt, dass nicht nur die großen Bauvolumina, sondern auch die kleinen, feinen Planungen wichtige Werke der Architektur sind.
Als unvergleichliche Persönlichkeit, die ihr Leben bis ins hohe Alter mit Kreativität gefüllt hat, wird Anna Lülja Praun uns allen fehlen. Aber dann betrachten wir die von ihr entworfenen Objekte von zeitloser Eleganz und wissen, dass in jedem Stück auch über ihren Tod hinaus ein Stück von ihr weiterlebt. Und das ist tröstlich.
Judith Eiblmayr, 14.10.2004