Die Stadtstrasse als transdanubischer Anlassfall
Die Debatte um den 4-spurigen Autobahnzubringer Hirschstetten, die sogenannte „Stadtstraße“, und um die N-O-Umfahrungsautobahn S1 (Donauquerung / „Lobau-Autobahn“) und die Räumung der Protestcamps in Wien-Donaustadt reflektiert auf mehreren Ebenen die Auseinandersetzung mit Stadtentwicklung. Mobilität, Stadtwachstum, Bodenversiegelung, Naturschutz, Planungsrecht und Planungskultur. All diese Ebenen sind akut und relevant, und alle sind im Lichte der elementaren und unumgänglichen Frage des Umgangs mit der drohenden Klimakatastrophe zu betrachten.
Die Wissenschafter*innen der Initiative Scientists 4 future haben sich am 9.Februar 2022 mit einem Statement an die Öffentlichkeit gewandt, welches auch die ÖGFA hiermit vollinhaltlich unterstützt. Denn hier geht es um mehr als nur die Frage, ob die manipulativ „Stadtstraße“ benannte, per se aber nicht nur unstädtische, sondern anti-städtische Schnellstraße gebaut werden soll oder nicht.
Transdanubien: Großräumliche Gesamtplanung
Transdanubien und sein Verhältnis zum cisdanubischen Wien war immer wieder ein Feld für großmaßstäbliche Planungen, von Otto Wagners Großstadt bis zu Roland Rainers Gesamtplanungen. Ein solcher Blick aufs Ganze, inklusive des in Wien stets fahrlässig übersehenen niederösterreichischen Umfelds, wäre seit langem dringend notwendig. Jedoch erschöpft sich die Stadtplanung in Einzelfällen und isoliert betrachteten Quartieren, woraus schließlich Probleme wie das fehlende Verkehrssystem resultieren.
In Kombination mit dem (inzwischen vorläufig gestoppten) Lobautunnel würde diese Schnellstraßenverbindung zwangsläufig zu einem erhöhten gewerblich-logistischen Interesse im Nahebereich führen, und Orte wie z.B. Großenzersdorf zu einem neuen Speckgürtel anwachsen, wie er sich bereits seit längerem im Süden Wiens entwickelt hat, mit desaströser Verkehrssituation am Rande der Kapazitäten. Schon die derzeitigen Pendlerbewegungen aus Niederösterreich lassen den stolz propagierten Modal Split der Stadt Wien ganz anders aussehen, bei einer Weiterverfolgung dieser Verkehrspolitik im Norden der Stadt würde sich dies multiplizieren. Dies gilt es im Hinblick auf die nationalen und regionalen Klimaziele und die Sinnhaftigkeit planerischer Entscheidungen unbedingt zu vermeiden.
Straße vs. Verkehrsband
Die – fehlende – Planung im großen Maßstab müsste von den öffentlichen Freiräumen ausgehen, dem Grundgerüst der Stadt, das aus tatsächlich städtischen Straßen besteht, ebenso wie aus Grünräumen, Plätzen, Parks uvm. Aus Räumen, die allen NutzerInnen offen stehen, anstatt ausschließlich der Beschleunigung eines einzigen Verkehrsmittels zu dienen, das auf Klima und Umwelt ebenso negative Auswirkungen hat, wie auf die Stadt selbst.
Der Autobahnzubringer Hirschstetten folgt dagegen, unbeschadet seiner Bezeichnung als „Stadtstraße“, der territorial fragmentierenden Logik eines Verkehrsbandes. Anstatt Teil eines im übergreifenden räumlichen Zusammenhang gedachten städtischen Straßennetzes zu sein, würde er zwischen Hirschstetten und Aspern die Donaustadt von West nach Ost durchschneiden. Seine Rampen und Anschlussbauwerke würden weit in den Umraum ausgreifen und ihn eben nicht mit der Stadt und ihren vielfältigen Nutzungen verbinden, sondern ausschließlich mit anderen Verkehrsbändern – schlimmer noch: mit Straßen, die durch diese Anbindung in Überführungen, Schleifen und Kreisverkehren ebenfalls den Charakter von Verkehrsbändern annehmen.
Selbst die Einreichung des Projekts von 2014 stellt für alle untersuchten Varianten eine mehr oder weniger große „optische“ und „verkehrliche Trennwirkung durch die Stadtstraße“ fest. Eine wirklich städtische Straße stellt aber weder visuell noch funktionell eine Barriere dar, sondern bildet einen Raum der Begegnung von StadtnutzerInnen.
Klimaziele
Die Ziele des im Jänner 2022 präsentierten Wiener Klimafahrplan weisen in die richtige Richtung, erfordern aber auch ein entsprechend radikales Umdenken. Dazu gehört auch, Infrastrukturprojekte in Frage zu stellen, deren Planung aus einer Zeit stammt, in der die Dringlichkeit des Klimaschutzes noch nicht ausreichend erkannt wurde, und zwar unabhängig von deren rechtlicher Situation. Denn diese Projekte bestimmen den Verkehr, die Emissionen und die Stadtentwicklung über die nächsten Jahrzehnte.
Die juristische Komplexität von UVP-Verfahren darf kein unüberwindbares Hindernis für die Korrektur von jahrzehntealten Planungen sein, die den heutigen und zukünftigen Klimazielen widersprechen und die deren Erreichen verhindern. Selbst der von der Stadt eingesetzte unabhängige Klimarat hat schon im November 2020 empfohlen, die Stadtstraße und Donauquerung im Hinblick auf die Einhaltung der Klimaziele einer kritischen Prüfung zu unterziehen. Mit Absage des Lobautunnels und dem Verweis der S8 zurück in die erste Instanz haben sich die Rahmenbedingungen maßgeblich geändert und wäre die Kapazität und Notwendigkeit der „Stadtstraße“ zu re-evaluieren.
Planungspolitik und Planungskultur
Über die fachliche Beurteilung hinaus ist die teils polemische Reaktion der Stadt auf die Proteste gegen die „Stadtstraße“ ein bedauerliches Indiz für die Planungs- und Kommunikationskultur, die den PR-getriebenen Einzelmaßnahmen oft den Vorrang vor großräumlichen Planungen gibt. Irreführende Begründungen wie jene, die „Stadtstraße“ sei an die Entwicklung mehrerer Stadtentwicklungsgebiete gebunden (anstatt nur für Teile der Seestadt Aspern) sind ebenso zu kritisieren wie die Blockade des bereits mehrfach verschobenen Straßenbahnausbaus (Linie 25) in die Seestadt, die hier offensichtlich als reines Druckmittel eingesetzt wurde, was einer Stadtplanung unwürdig ist und im Widerspruch zu den eigenen Klimazielen steht.
Diese Ziele ernst zu nehmen würde im Gegenteil eine Umschichtung der Mittel zum massiven Ausbau des ÖV-Netzes im 21. und 22. Bezirk (wie in ganz Wien) bedeuten. Bereits in den 1970er Jahren war eine tangentiale U-Bahnlinie zwischen Floridsdorf und Donaustadt im Gespräch. In Kombination mit den ebenfalls lange geforderten Lückenschließungen und Frequenzerhöhungen im S-Bahnnetz und einer flächendeckenden Erschließung durch Straßenbahnen wären die Verkehrsbedürfnisse auch bei weiter steigenden Bevölkerungszahlen ohne weiteren Ausbau eines Autobahn- und Schnellstraßennetzes in Wien lösbar.
Standpunkt der ÖGFA
Die ÖGFA fordert daher ein stadtgrenzenübergreifendes Konzept für den transdanubischen Raum, das Stadtentwicklung nicht nur aus der Perspektive des Wohnbaus betrachtet, sondern eine urbane Nutzungsmischung verfolgt, die in Korrelation zur verkehrs- und Freiraumplanung steht. Eine Stadt der kurzen Wege zwischen Wohnen, Arbeiten, Kultur, Freiraum, Infrastruktur und Nahversorgung würde die Verkehrsbewegungen über die Donau beeinflussen, auf deren Modellannahmen die bisherigen Straßenplanungen basieren.